Vier Zeiten - Erinnerungen
veredelt alle die bisherigen hübschen Germano-Amerikanismen, wie »Gemütlichkeit« und »Angst«, »Weltschmerz«, »Sauerkraut« und »Kindergarten«.
Der historischen Leistung Adenauers, alsbald nach dem verlorenen Krieg den freien Teil Deutschlands fest in das Bündnis der westlichen Demokratien einzufügen, folgte nun die gleichfalls historische Tat von Brandt, einen eigenen deutschen Weg der Entspannung mit dem Osten zu finden. Fest gestützt auf den Westen wurden auf diesem Weg wichtige Voraussetzungen für spätere glückliche Nachfolger geschaffen, Deutschland zu vereinigen und ganz Europa zusammenzuführen.
Brandt ging es darum, so bald wie möglich direkte Vertragsverhandlungen mit Moskau aufzunehmen. Im Zentrum der Macht des Ostens mußte sich entscheiden, welche Chancen wir für unsere offenen Fragen mit Polen und der ČSSR, vor allem aber mit der DDR und Berlin vor uns hatten. Brandt wollte nicht noch einmal das sowjetische Mißtrauen erzeugen, mit dem die Russen dem früheren Außenminister Schröder begegnet waren, als dieser -damals mit gutem Grund -seine Kontakte an Moskau vorbei direkt mit dessen Verbündeten aufgenommen hatte.
Auf dramatische Weise ebnete Brandt schon mit seiner Regierungserklärung den Weg nach Osten. Er brach mit dem jahrzehntelang durchgehaltenen Bonner Tabu, welches vorschrieb, die DDR in der politischen Sprache einfach zu ignorieren. Aber er wollte es so unauffällig wie möglich tun, quasi nebensächlich. Deshalb versteckte er seine zentrale Aussage in einem unscheinbaren Nebensatz: »Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, so sind sie doch füreinander nicht Ausland.« Da erblickte sie also erstmals in der amtlichen westdeutschen Sprache das Licht der Welt, die DDR als eigener deutscher Staat. Brandt hatte den berühmtesten Nebensatz aller bisherigen Regierungserklärungen geschaffen. Die öffentliche Aufregung kannte kaum noch Grenzen. Aber nicht nur im Ostblock, auch im Westen waren Erleichterung und Zustimmung die Folge.
Willy Brandt war stark genug, versteinertes Unrecht aufzubrechen, zäh genug, Niederlagen zu überdauern und Sieger zu ernüchtern.
Eine weitere Klimaverbesserung in Moskau schuf Brandt dadurch, daß er im November 1969 den Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen unterschrieb. Damit beendete er einen sinnlos gewordenen innenpolitischen Streit, indem er nun auch gegenüber der Sowjetunion erfüllte, was an die Adresse der westlichen Verbündeten längst geschehen war. Dann wurde Egon Bahr nach Moskau geschickt.
Nachträglich ist es schwer, sich einen Begriff von den außenund innenpolitischen Schwierigkeiten zu machen, die es bei der Ostpolitik zu meistern galt. Einige will ich nennen, weil sie von 1969 bis zur Konferenz von Helsinki 1975 die Essenz der wohl
dramatischsten und mit dem größten Ernst geführten Auseinandersetzungen in der bisherigen Geschichte des deutschen Bundestages darstellen.
Zugleich war es auch das für mich selbst erregendste Kapitel, das ich während meiner ganzen Zeit als Parlamentarier erlebt habe. Denn es ging ja genau um das Thema, welches mich in die aktive Politik geführt hatte, vor allem um die Deutschlandpolitik und um unser Verhältnis zu Polen im Sinne der von mir mitverantworteten Ostdenkschrift der EKD.
Zu den Schwierigkeiten gehörte zunächst und vor allem, daß die DDR als selbständiger Staat anerkannt, der Anspruch auf die Einheit Deutschlands aber nicht preisgegeben werden sollte. Formell war Bonn gar nicht befugt, über den Status der DDR zu verhandeln. Denn für Deutschland als Ganzes und damit auch für die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander waren nur die vier Siegermächte verantwortlich, und zwar gemeinsam. Jede direkte Bonner Verhandlung mit Moskau wurde daher durch die Westmächte scharf und nicht ohne Argwohn beobachtet, zumal durch die Franzosen.
Zuerst in Moskau vorzusprechen war politisch ganz unumgänglich. Dabei standen aber nicht nur bilaterale Fragen im engeren Sinn auf der Tagesordnung, sondern auch Themen mit Bezug auf andere Staaten, vor allem Polen und die Oder-Neiße-Grenze. In Warschau argwöhnte man sofort, daß Russen und Deutsche sich über die zentralen Fragen des zwischen ihnen liegenden Landes ein weiteres Mal über die Köpfe der Betroffenen hinweg verständigen würden. Polen suchte endgültige Sicherheit für seine bei Kriegsende geschaffene Westgrenze. Die Bundesrepublik aber konnte und wollte wenigstens die Option auf einen
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