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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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wirkte, obwohl er gar nicht so rot war. Sie konnten ihm den »Verrat« an seiner alten Partei, der CDU, und an Adenauer durchaus nicht verzeihen. Daher ging es der Unionsführung jetzt um einen eigenen Kandidaten.
Und weil die SPD ihren Anspruch auf das Amt längst öffentlich angemeldet hatte, galt es, jemanden zu nominieren, der für eine ausreichende Zahl von FDP-Delegierten als gut wählbar erscheinen konnte.
    Vermutlich war dies der Grund, weshalb im Sommer 1968 der Generalsekretär der CDU, Bruno Heck, bei mir erschien, um meine Bereitschaft für eine Kandidatur zu erbitten. Meine Überraschung hätte nicht größer sein können. Gewiß hat es in meinem späteren politischen Leben durchaus auch ganz andere Situationen gegeben, in denen ich mich selbst, teils ohne, teils mit Erfolg, um eine Kandidatur bewarb, ohne immer so genau zu wissen, ob ich damit in jedem Fall dem Herzenswunsch meiner Parteiführung entsprechen würde. Als aber Heck mich mit diesem Vorschlag überfiel, war ich sprachlos.
    Es gab gute Gründe für mich zu zögern. Bislang hatte ich keinerlei Amt innegehabt. Es fehlte mir an politischer und parlamentarischer Erfahrung. Soweit ich in der Öffentlichkeit überhaupt bekannt war, beruhte dies auf Arbeiten in meiner Kirche und auf ostpolitischen Veröffentlichungen.
    Hinzu kam, daß ich vom Wert einer möglichst breiten Mehrheit für die Wahl in dieses Amt überzeugt war. Ob mit oder ohne Auswirkung auf die nächsten Koalitionsfragen nach der Bundestagswahl, riet ich Heck zu einer Einigung mit der SPD. Dabei dachte ich an Heinemann und sprach mich auch alsbald öffentlich dafür aus, die CDU möge sich mit der SPD auf ihn verständigen.
    Heinemann war damals neunundsechzig Jahre alt, zwanzig Jahre älter als ich. Aus der Montanindustrie im Ruhrgebiet und vor allem aus der Synode der evangelischen Kirche kannte ich ihn ziemlich gut. Er war der Prototyp eines demokratischen Bürgers. Im Kirchenkampf während der Nazizeit hatte er sich durch unbeugsame Standfestigkeit hervorgetan. In der Stahlindustrie hatte er Führungsaufgaben erfolgreich wahrgenommen. Gleich nach dem Krieg wurde er aktiver Kommunalpolitiker.
Seine Kontroversen als Bundesinnenminister mit seinem Parteivorsitzenden Adenauer beruhten vor allem auf ihrem deutschlandpolitischen Streit. Als leicht zugänglich habe ich ihn nie empfunden, eher als wortkarg und eigensinnig. Er hatte einen scharfen Verstand. Auch besaß er einen warmen Humor, den er aber am liebsten bis nach Mitternacht verbarg. Viele hielten ihn für einen calvinistischen Eiferer, taten ihm damit aber, wie ich glaube, unrecht. Im Gegensatz zu einem weitverbreiteten Ruf war er in seiner Haltung im allgemeinen maßvoll. Vor allem aber war er unabhängig. Er erkannte die Notwendigkeit, sich in einer Partei auf gemeinsame Linien zu verständigen, folgte jedoch im Zweifelsfall stets dem eigenen Gewissen. In der außerordentlich schwierigen Atmosphäre der von Jugendrevolten geprägten späten sechziger Jahre kamen ihm durch seinen Mut und seine Verständigungsbereitschaft hohe Verdienste zu. Dies zeigte sich besonders in seiner führenden Rolle als Bundesjustizminister bei der heißumstrittenen, dann aber erfolgreichen Verabschiedung der Notstandsgesetze im Frühjahr 1968, wenige Tage nach dem Attentat auf Rudi Dutschke. Kurzum, ich hielt Heinemann in der zentralen Aufgabe einer Integration für geeignet und trat daher intern und öffentlich für ihn ein.
    Aber es war vergeblich. Helmut Kohl, mein Landesvorsitzender, empfahl mir mit politischem und menschlichem Nachdruck, das Angebot von Heck zu akzeptieren. In meiner mangelnden politischen Erfahrung sah er kein Hindernis. Im Gegenteil meinte er, daß ich als unbefangener Außenseiter besser geeignet sei als ein abgebrühter, abgestempelter Vollprofi. Auch der Bundesvorsitzende, Bundeskanzler Kiesinger, forderte mich energisch auf, bereit zu sein, und der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Rainer Barzel, tat dasselbe.
    Das Thema war mittlerweile längst publik. In der Union gab es bald gegenläufige Tendenzen: Man solle dem erfahrenen Gustav Heinemann einen mindestens ebenso erprobten Kandidaten gegenüberstellen, nämlich den langjährigen Innen-, Außen- und
jetzigen Verteidigungsminister Gerhard Schröder. Damit wurde innerparteilich der Initiative von Kiesinger und Heck entgegengewirkt. An Schröders politischer Bewährung gab es nirgends irgendeinen Zweifel. Er war nach eigener, gern gegebener Einschätzung der Prototyp

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