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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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1975 der Höhepunkt der Ostpolitik.
    Auch diesmal bäumte sich das Gros der Unionsfraktion dagegen auf. Bei einem - dazu noch für die Rechtskraft der Schlußakte bedeutungslosen - parlamentarischen Entschließungsantrag zugunsten von Helsinki stimmten die meisten Unionsabgeordneten dagegen. Wegen einer Tagung des Exekutivausschusses des Weltkirchenrates in Übersee war ich abwesend, was aber meine Frustration über diesen Vorgang nur noch steigerte.
    Anfang 1976 kam es abschließend noch einmal zur Abstimmung über einen ostpolitischen Vertrag. Es war ein Abkommen zwischen Polen und der Bundesrepublik mit weitreichenden konkreten Einzelfolgen. Im Bundestag war ich Anführer und
Sprecher einer Minderheit meiner Fraktion zugunsten dieses Abkommens. Zusammen mit Rainer Barzel, Walter Kiep, Norbert Blüm und weiteren elf Kollegen stimmten wir mit Ja. Die Mehrheit der Unionsabgeordneten war wiederum, sozusagen ein letztes Mal, dagegen. Im Bundesrat, auf dessen Votum es ankam, hatte sich Strauß heftig gegen das neue Polen-Abkommen gewehrt. Doch erkämpfte schließlich der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht die Annahme.
    Als die Union selbst an die Regierung kam, also zehn Jahre nach dem fundamentalen Streit über die Verträge im Jahr 1972, spielte ihr einstiger Widerstand gegen die Ostpolitik von Brandt keine Rolle mehr. Sie setzte den Weg so fort, wie Brandt und nach ihm Helmut Schmidt ihn eingeschlagen hatten. Ähnlich war es Jahrzehnte früher schon einmal zugegangen, als Adenauer unser Land in das westliche Lager geführt und seine damalige Opposition, die SPD, sich nach anfänglichem heftigem Sträuben zehn Jahre später seiner Richtung angeschlossen hatte. Zum Glück eignet sich die außenpolitische Lage der Deutschen nicht für einen innerpolitischen Dauerstreit ohne Ende.

Außenpolitik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre; Auslandsreisen mit Helmut Kohl
    Innenpolitisch und innerparteilich änderten sich die Führungsverhältnisse in Bonn. 1973 trat Barzel als Vorsitzender der Unionsfraktion zurück. Der äußere Anlaß war eine Abstimmung über den Beitritt der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen. Über seine Nachfolge kam es zu einer Kampfabstimmung. Zuerst hatte Schröder seinen Anspruch angemeldet. Dem Arbeitnehmerflügel und den Liberalen in der Fraktion erschien er als zu starr konservativ. Hans Katzer forderte mich zur Kandidatur auf. Meine Aussichten waren gering, denn vor allem
Strauß mit seiner CSU und die vielen anderen, die noch immer unter der Annahme der Ostverträge litten, hatten nichts mit mir im Sinn. Aber ich sagte zu. Immer war ich der Überzeugung, daß Kandidaturen auch bei geringen Erfolgschancen notwendig sind. Die Demokratie lebt von der Wahlmöglichkeit, sie braucht die Alternative, erst recht in einer großen Volkspartei, die sich aus verschiedenen Richtungen rekrutiert. Den Zeitungen galt ich als Kandidat der Linken.
    Dann aber zauberte Kai Uwe von Hassel, der frühere Bundestagspräsident, seinen Kollegen aus Schleswig-Holstein, Karl Carstens, aus dem Hut. Carstens, ehemaliger Staatssekretär, zuletzt bei Bundeskanzler Kiesinger, war gerade erst neu in den Bundestag gewählt worden. Unmittelbar darauf, bei der Debatte über den Grundlagenvertrag mit der DDR, hielt er eine gewaltige Rede gegen die Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Nach der schweren Niederlage der Union bei der letzten Bundestagswahl waren seine Worte Balsam für die verwundeten Gemüter der Fraktionsmehrheit. Er wurde mit Jubel aufgenommen und nun auch mit großer Mehrheit zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Ich landete mit einem passablen Stimmenanteil auf Platz zwei. Zur Befriedigung meiner Kinder war mir dabei wenigstens die Revanche gegen Schröder gelungen. Und Carstens gratulierte ich aus reinem Herzen zu seinem wenig beneidenswerten neuen Amt. Er hat es nicht mit großer innerer Zuneigung, aber mit dem ihm eigenen klugen Verantwortungssinn ausgefüllt. Es ist immer eine besonders schwierige Aufgabe, eine große Fraktion zu leiten, das heißt sie zusammenzuhalten. Erst recht galt dies jetzt, da die Union erstmals den Platz der stärksten Partei an die Sozialdemokraten verloren hatte. Später fühlte sich Carstens viel wohler, als er den zu polemischem Kampf reizenden Fraktionsvorsitz gegen das ausgleichende Amt des Bundestagspräsidenten eintauschen konnte.
    Barzel war noch Bundesvorsitzender der Partei. 1970 hatte er mir bei seiner Kandidatur für dieses Amt gegen Kohl

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