Vierbeinige Freunde
wußten, daß da drin ein Löwe untergebracht war, und wenn keiner von uns zu Hause war, betrat niemand das Zimmer. Wer also hatte Kinuli herausgelassen? Nun, ich trete in das Zimmer und sehe auf dem Schrank einen unbekannten Mann sitzen. Das Gesicht voll roter Flecke, die Augen unstet im Zimmer umherirrend, zittert er am ganzen Leibe wie im Fieber.
Es kamen ja öfters Fremde zu uns, den Löwen zu sehen, und oft waren einige von ihnen im Begriff, vor Schrecken auf den Schrank zu flüchten. Deshalb war ich zuerst gar nicht erstaunt, einen fremden Mann auf dem Schrank zu sehen. Für alle Fälle erkundigte ich mich: „Wie kommen Sie hierher, Bürger?“
Der „Bürger“ aber stottert nur mit vor Entsetzen klappernden Zähnen: „I-i-ihr Raubtier hat mich hier heraufgejagt …“
„Ist gut“, meine ich. „Sie haben genug gesessen, kommen Sie jetzt wieder herunter!“
Aber daran war nicht zu denken! Der Fremde drückte sich nur noch enger an die Wand.
„Miliz!“ bittet er. „Rufen Sie die Miliz!“
Ich fordere ihn immer wieder auf: „Kommen Sie herunter!“ Er aber beharrt auf seiner „Miliz“. Und so mußte ich denn wohl oder übel die Miliz anrufen.
Die Miliz kam. Kaum hatten die Schutzleute das Zimmer betreten, als mein „Bürger“ auch schon zu ihnen hinuntersprang, sich hinter ihnen verkroch und sie anflehte, ihn doch möglichst schnell festzunehmen.
Einige Tage waren inzwischen vergangen, ich hatte die Angelegenheit schon fast vergessen, da erschien in einer Zeitung unter der Rubrik „Allerhand Vorfälle“ die ausführliche Beschreibung des Diebesabenteuers.
Da stand geschrieben: „Wir haben seinerzeit schon darauf hingewiesen, daß die Leiterin der Jungtierabteilung des Moskauer Zoologischen Gartens, Wera Wassiljewna Tschaplina, in ihrer Wohnung“ (es folgte die genaue Angabe der Adresse) „die Junglöwin Kinuli aufzieht.
Heute ist Kinuli bereits eine schöne, junge Löwin von der Größe einer Dogge. Sie öffnet die Zimmertüren, indem sie die Türklinke mit der Pfote niederdrückt. Wenn sie Hunger hat, erscheint sie, ihren Napf in den Zähnen haltend, in der Küche.
Dieser Tage bemerkte W. W. Tschaplina bei ihrer Heimkehr von der Arbeit, daß Kinuli sehr aufgeregt war. Sie lag auf der Schwelle ihres Zimmers, und ihr Schweif schlug hart auf den Boden. Über ihre Haut lief ein nervöses Zucken. Der Blick der Löwin war nach oben gerichtet. Dem Blick der Löwin folgend, gewahrte Genossin Tschaplina auf dem hohen Schrank einen unbekannten Mann. Dieser zitterte vor Entsetzen, und seine Augen irrten wild durchs Zimmer.
Um keinen Preis wollte der Mann seine Zufluchtsstätte verlassen. Er erzählte sein Erlebnis. Er war in das Haus eingedrungen, um zu stehlen. Er besichtigte in Ruhe die Zimmer der menschenleeren Wohnung und öffnete auch die Tür zu demjenigen der Löwin. Erst als der Dieb mitten im Zimmer stand, bemerkte er, daß er sich in Gesellschaft eines Raubtieres befand.
Der Verbrecher wollte zur Tür zurückweichen, doch die Löwin vertrat ihm den Weg und jagte ihn durch drohendes Brüllen auf den Tisch, wohin sie ihm folgte. Da flüchtete der unglückliche Einbrecher auf den Schrank, auf dem er dann zwei Stunden, von dem fürchterlichen Raubtier bewacht, zubringen mußte.“
Die Zeitung mit dieser Notiz war sehr früh erschienen. Ich schlief noch, als der Fernsprecher klingelte. Ich nahm den Hörer ab. Eine bekannte Stimme fragte: „Wera Wassiljewna, leben Sie noch?“
„Ich lebe“, antworte ich. „Was ist denn los?“
„Was los ist? Haben Sie denn die Zeitung nicht gelesen? Nein? Dann lesen Sie sie einmal! Dort steht geschrieben, daß sich ein Dieb bei Ihnen eingeschlichen und Kinuli ihn auf den Schrank gejagt und um ein Haar aufgefressen hätte. Meine Frau und ich sind sehr aufgeregt und wollen uns nur einmal von Ihrem Wohlergehen überzeugen.“
Ich war gezwungen, die ganze Geschichte noch einmal von Anfang bis Ende zu erzählen, und kaum hatte ich den Hörer aus der Hand gelegt, als schon wieder ein Anruf kam. Mit einem Wort, es waren so viele, die Näheres über das Abenteuer erfahren wollten, daß ich gar nicht mehr vom Apparat fortkam. Alles rief bei mir an: meine Mitarbeiter, Verwandte, Bekannte und Unbekannte, die, weiß der Himmel wie, meine Fernsprechnummer ausfindig gemacht hatten.
Der Fernsprecher klingelte ohne Unterlaß, die abgehetzten Mieter ärgerten sich und gingen gar nicht mehr an den Apparat, während ich nach zweistündiger Tortur fluchtartig das
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