Vierbeinige Freunde
gezwungen, sie auf den Arm zu nehmen und einige Schritte zu tragen.
Da so etwas sehr oft vorkam, hatte sich Tjulka bald so an diese Art des Vorwärtskommens gewöhnt, daß sie sich gar nicht mehr sträubte. Überhaupt konnte ich alles mögliche mit ihr anstellen. Mit Rebekka raufte sie sich um das Fleisch, mir aber überließ sie ihre Portion sogar, ohne nach mir zu schnappen. Wie oft nahm ich ein Stückchen Fleisch in meine Faust und hielt ihr diese, fest zusammengepreßt, hin. Sie beleckte die ganze Hand, nahm sie in den Rachen, und ihre Zähne, die Knochen wie Zucker zermalmten, hinterließen auf meiner Hand nicht einmal einen Kratzer.
Am Ende des Sommers mußten wir uns trennen. Rebekka wurde verkauft, und Tjulka kam auf die Raubtierinsel.
Da sich die Raubtierinsel auf dem neuen Gelände befindet, hatte ich keine Zeit, dorthin zu gehen.
Mehr als ein Jahr war verstrichen. Die ganze Zeit über war ich nicht ein einziges Mal bei Tjulka gewesen. Zu Anfang wollte ich sie nicht beunruhigen, dann fanden wir es richtiger, daß sie mich vergessen sollte. Es stellte sich aber heraus, daß das Tier ein besseres Gedächtnis besaß, als wir angenommen hatten.
Ich machte damals Führungen durch den Zoo. So kam ich auch einmal in den Löwenzwinger und hörte plötzlich ein Krächzen, ein mir wohlbekanntes heiseres Kreischen, gleichzeitig sah ich, wie sich eine Hyäne im Käfig herumwarf. Die Hyäne hatte den Blick auf mich gerichtet. Den Besuchern war es auch schon aufgefallen. Lange begriff ich nicht, was los war.
Es war eine erwachsene, mir offenbar unbekannte Hyäne – wie kam sie dazu, mir, heiser kreischend, zu schmeicheln? Erst später erfuhr ich von dem Wärter, daß es Tjulka gewesen war, die man vorübergehend im Löwenzwinger untergebracht hatte. Ich besuchte sie mehrere Male und liebkoste sie, dann fuhr ich auf Urlaub. Zwei Monate später kehrte ich zurück. Ich hörte, daß man an diesem Tage Tjulka auf der Raubtierinsel zu anderen Hyänen lassen wollte, und ging hin, um zuzusehen.
Die beiden Hyänen, ein Männchen und ein Weibchen, waren viel größer als Tjulka. Sie waren zusammen aufgewachsen und empfingen die „Neue“ sehr unfreundlich. Sie sträubten das Fell, umkreisten Tjulka und knurrten. Die arme Tjulka war ganz in sich zusammengesunken, hatte sich tief in einen Winkel verkrochen und heulte. Als erste schnappte das Weibchen nach ihr. Tjulka wandte sich nach ihm hin, da packte das Männchen sie am Hals. Es kostete viel Mühe, beide von Tjulka zurückzutreiben. Nun wollte man Tjulka von den Angreifern entfernen, doch zeigte sich, daß dies sehr schwierig war.
Vor Schmerz und Schrecken fast wahnsinnig, ließ Tjulka niemanden an sich heran. Sie fiel die Menschen an, riß ihnen die Stöcke aus der Hand und zermalmte sie mit den Zähnen, als wären es Späne. Nun versuchte man, ein Handnetz über sie zu werfen, doch auch das gelang nicht. Da entschloß ich mich, zu ihr hineinzugehen und selbst zu versuchen, sie zu ergreifen. Alle rieten mir ab, behaupteten, es würde nichts werden, die Trennung habe schon zu lange gedauert, sie würde mich auf keinen Fall erkennen. Ich ging trotzdem hinein. Tjulka hatte sich an die Wand gedrückt. Sie knurrte, in ihren Augen brannte Wut. Das gesträubte Fell ließ sie größer erscheinen. Das blutige Maul und die Halswunde, die ihr beigebracht worden war, gaben ihr ein unheimliches, wildes Aussehen.
Ehrlich gesagt, ich fühlte mich nicht recht wohl dabei. Einige Male versuchte ich, mich ihr zu nähern, aber jedesmal sprang sie vor und bemühte sich, mich zu beißen. Da bat ich die anderen, sie möchten alle hinausgehen. Nun trat ich zur Seite und fing zu locken an.
„Tjulka, Tjulissenka“, redete ich ihr zu, „so komm doch nur her zu mir, du Dickschnauzige!“
Ich weiß nicht, waren es die altbekannten Worte, die Stimme, oder hatte sie mich einfach erkannt, jedenfalls kam Tjulka, die grauenerregende, blutüberströmte Tjulka, die schon erwachsene Hyäne, zu mir gelaufen und fing zu schmeicheln an. Sie rieb sich an mir, beschmierte mein Kleid mit Blut, rutschte auf den Knien einher und legte sich auf den Bauch. Vorsichtig, um ihr nicht an ihrer Wunde weh zu tun, legte ich ihr das Halsband um. Ich befestigte es direkt hinter ihren Ohren, weil doch weiter unten die Wunde klaffte, und führte sie hinaus. Ich mußte sie um die ganze Raubtierinsel herumführen und dann noch eine Strecke durch einen geschlossenen Raum. Ich hatte sie ja doch schon so lange nicht mehr
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