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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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frei. Die Hunde protestieren und wollen
mich in meiner Freizügigkeit hindern, aber sie merken, daß ich zornig bin, und
so halten sie Abstand. Eine weise Entscheidung, sonst gäbe es am Mittag Hund am
Spieß!
    Kurz danach überquere ich eine Wiese,
die dicht mit Pfefferminze bewachsen ist. Es duftet wie in einem Kräutergarten.
Am Rand der Wiese steht die romanische Kapelle von Olhaïby, ein dem heiligen
Just geweihtes Kirchlein. Das makabre Altarbild zeigt, wie er geköpft wird. Das
Gelände steigt und wird welliger. Die Maisfelder werden allmählich vom grünen
Gras ersetzt. Wohl genährte helle Kühe schauen mir interessiert zu und ich
meine, in ihren mich begleitenden freundlichen Blicken Zustimmung zu entdecken.
    Weiter oben werden die Kühe von
grasenden Schafen abgelöst. Obwohl es sommerlich heiß ist, haben viele dieser
Tiere noch ihren Winterpelz an. Können Schafe schwitzen? Ich tue es jedenfalls!
Das Salz läßt meine Wunde und die Kratzspuren, die ich mir im Brombeergestrüpp
geholt habe, unangenehm brennen. Dies hindert mich nicht daran, diesen
wunderbaren Tag, diese weitläufige heitere Landschaft mit vollen Zügen
einzuatmen und zu genießen.
    Die kleine Bar am Ortsausgang von
Larribar-Sorhapuru, — der Name zeigt, daß wir im Baskenland sind — , ist
geöffnet. Kein Gast, nur die Wirtin genießt die Kühle des abgedunkelten Raumes.
Ich trinke ein Mineralwasser mit grünem Menthol. Die alte Dame fragt mich, ob
ich katholisch sei, und als ich ihre Frage bejahe, spendiert sie mir ein
zweites Glas.
    Nach einer Stunde komme ich zum Weiler
Hiriburia, wo der berühmte Gedenkstein mit dem rätselhaften Namen „Gibraltar“
steht. Nach der Auffassung der Etymologen hat diese Bezeichnung nichts mit der
bekannten Meerenge zu tun, vielmehr wird er von dem altbaskischen Wort Chibaltarem, zu deutsch „Erlöser“,
abgeleitet. Die runde, mühlsteinförmige Scheibe bezeichnet die Stelle, wo die
zwei nördlichen historischen Jakobspilgerwege, die aus Tours kommende Via Turonensis und die aus Vesalay
kommende Via Limovicensis, sich mit der aus Le Puy kommenden Via
Podensis vereinigen.
    Ich stelle mir vor, wie die vom Norden
kommenden Pilgerscharen hier von den Pilgern aus dem Osten begrüßt worden sind;
sicher wurden Messen gelesen, getanzt und gesungen... Unbewußt habe ich hier
auch heute so etwas Ähnliches erwartet. Die unscheinbare Wegkreuzung, die ich
zwischen Einfamilienhäusern vorfinde, läßt bei mir eine leise Enttäuschung
aufkommen.
    Ich mache eine kurze Ruhepause, esse
mein Brot, trinke mein Wasser. Im Garten neben mir ist eine Frau dabei, Rosen
zu schneiden. Sie trägt ihre hellen Haare offen und hat ein orangefarbenes Sommerkleid
an. Unsere Blicke kreuzen sich, eine kurze Begrüßung, und ich hoffe, von ihr
angesprochen zu werden, aber sie geht ins Haus zurück. Auch ich gehe auf meinen
Weg.
    Der steigt jetzt auf eine nur mit Gras
und Wacholder bewachsene Bergkuppe, die rund und massig ist, wie der Rücken
einer riesigen Schildkröte. Oben, wo die Aussicht auf das Vorland der Pyrenäen
und auf die Berge dahinter am schönsten ist, steht die kleine Kapelle Notre
Dame de la Garde. Angebaut ist eine kleine saubere Schutzhütte mit Tisch und
Bänken, die zum Verweilen einladen. Auf dem Tisch steht eine Vase mit frischen
Schnittblumen.
    Gott, ist das ein schönes Fleckchen
Erde, ein mit allen Schönheiten der Welt gesegnetes Land! Ich wünschte mir so
sehr, daß die hier lebenden, zu mir so freundlichen Menschen mit ihren
vermeintlichen Feinden Frieden schließen könnten!
    Den Berg abwärts durchquere ich einen
schönen Eichenwald und erreiche die kleine Siedlung Harambeltz. Die Pflege der
im 11. Jahrhundert von den Benediktinern erbauten Kirche wurde den hier
wohnenden vier Familien brieflich anvertraut. Die Geschichte einer dieser heute
noch hier wohnenden Familien kann man bis in das Jahr 987 zurückverfolgen.
    Ich erreiche Ostabat. Durch das
Zusammentreffen der drei französischen Jakobswege ist die ehemalige Stadt,
deren alter Name „Hostavalla“ auf die Pilgerherberge hinweist, eine der
wichtigsten Ortschaften des gesamten Pilgerweges gewesen. In den Glanzzeiten,
im 12. Jahrhundert, konnten hier bis zu fünftausend Pilger gleichzeitig
Unterkunft und Verpflegung bekommen.
    Heute hat das Dorf kaum zweihundert
Einwohner. Eine Kirche ohne Besonderheit, ein Tabakladen, wo man auch Getränke,
Konserven und altes, trockenes Brot bekommt, eine Telefonzelle, die nicht
funktioniert... Keine Spur von

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