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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Taufbecken zu sehen, das diese Epoche
hervorgebracht hat. Das mit architektonischen Elementen reichverzierte
Kunstwerk ist einmalig in seiner Art.
    Das Refugio in Belorado befindet sich
neben der Pfarrkirche Santa María. Es ist der ehemalige Festsaal der Gemeinde,
ein Theater mit Bühne und Empore, das für die Pilger in eine Herberge
umgestaltet wurde, wobei die alte Einrichtung weitgehend erhalten geblieben
ist. Auf der offenen Bühne steht jetzt die Kücheneinrichtung wie ein
Bühnenbild. Die Empore wurde mit einer Zwischendecke erweitert; dort stehen
jetzt die Betten. Ich bekomme ein Bett neben dem Treppenaufgang. Über mir hängt
ein gar nicht so schlechtes Ölgemälde, auf dem ein frommer Heiliger im
Mönchsgewand gegen den Himmel schaut.
     
     

Montag, am 23. Juni
Von Belorado nach San Juan de Ortega
    Ich habe ganz gutgeschlafen.
    Es ist schon erstaunlich, welche
Wandlung sich bei mir vollzogen hat, was meine Ansprüche den Quartieren
gegenüber betrifft. Am Anfang meiner Reise fand ich noch manche Jugendherberge
unter meinem Niveau. Jetzt schlafe ich in dem schmuddeligen Treppenhaus eines
schmuddeligen Massenquartiers, wo alle an meinem Schlafplatz vorbeidefilieren.
Mein Bett ist eine ausgebeulte quietschende Eisenliege und die Matratzen würde
man bei uns als Sondermüll entsorgen müssen... Und ich schreibe: „Ich habe ganz
gut geschlafen“.
    Kurz nach der mittelalterlichen
Steinbrücke ist der Feldweg mit Gras bewachsen. Auch hier fällt mir auf, wie
wenig das Gras abgetreten ist, wieviele Pilger diesen Teil des Pilgerweges
überspringen.
    An den Böschungen wachsen riesige
Exemplare des giftigen Schierlings. Wer hat sich mit Schierling getötet:
Sokrates oder jemand bei Shakespeare? In dieser Frage kann ich mit Suzanne
keine Einigkeit erzielen.
    Heute ist der Himmel grau, die Luft ist
ungewöhnlich kalt. Jetzt, am frühen Morgen, kann ich meinen Atem sehen. Dabei
ist es schon Ende Juni und wir sind in Spanien!
    Zwischen ausgedehnten Weizenfeldern
kommen wir nach Villafranca Montes de Oca. Das kleine Straßendorf am Fuße der
Berge Montes de Oca ist bis 1075 Bischofssitz gewesen; erst dann wurde dieses
Amt nach Burgos verlegt. Schon im 9. Jahrhundert soll hier ein Pilgerhospiz
gestanden haben; die heutige Pilgerherberge, das Hospital de San Antón, wurde
1380 gegründet. Ich versuche, mir vorzustellen, wie es gekommen wäre, wenn der
Bischof damals hier geblieben wäre: Villafranca als Großstadt, Burgos als
Dorf...
    Hinter den letzten Häusern fängt der
steile Feldweg an, der zwischen Wiesen und Äckern zum Waldrand hochsteigt. Dort
ist eine Pilgerquelle, die Fuente de Moja Pan. Das Wasser fließt nur
tröpfchenweise, ich muß meinen Trinkbecher über eine Minute lang unter den
dünnen Wasserstrahl halten, bis drei Schluck Wasser zusammenkommen. Das war
schon immer so: Der Name Moja Pan heißt „nasses Brot“ und soll heißen, daß das Quellwasser gerade mal ausreicht,
das trockene Pilgerbrot weich zu machen.
    Die dichtbewaldeten Oca-Berge haben in
den früheren Jahrhunderten einen ähnlich schlechten Ruf gehabt wie das Massif
Central in Frankreich. Auf dem unübersichtlichen Gelände haben Räuberbanden den
frommen Pilgern nachgestellt. Heute bieten dieselben Eichenwälder den
vergnüglichen Rahmen unseres Pilgerweges. Oben angekommen — wir sind immerhin
auf 1150 Meter hochgestiegen — befinden wir uns auf einer Hochebene in einer
Heidelandschaft. Das Heidekraut blüht in einem besonders intensiven Lila.
Dazwischen stehen dunkelgrüne Wacholderkerzen.
    Der Weg neigt sich ins Tal, und nach
einer Stunde erblicken wir das in einer Senke liegende Kloster San Juan de Ortega.
Über das Pilgerhospiz schrieb der italienische Reisende Domenico Laffi, der
1673 hier gewesen ist:
    „Hier übt man
viel Barmherzigkeit mit den Pilgern, besonders im Hospiz, wo man gutes Essen
bekommt“.
    Diese schöne Tradition wird heute noch
aufrecht erhalten. Wie man aus zahllosen Büchern und Dokumentarfilmen erfahrt,
wird die Herberge von dem inzwischen legendären Pfarrer Don José Maria betreut,
der nach der abendlichen Christenmesse die Pilger mit Knoblauchsuppe bewirten
soll; anschließend können die Anwesenden gemeinsam das Mitgebrachte verzehren.
    Die aus mehreren großen Schlafräumen
bestehende Herberge hat keine frei zugängliche Küche oder einen
Aufenthaltsraum. So sitzen wir, die wenigen Pilger, vor der kleinen Bar um die
Ecke und warten auf die berühmte Pilgerspeisung. Die Stimmung ist gut, wir

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