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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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ruhen, unter einer
schlichten Steinplatte, die Gebeine des spanischen Nationalhelden El Cid. Der
1043 in der Nähe von Burgos geborene Edelmann und Heeresführer stand im Dienst
des Kastilischen Herrschers Sancho II. Als der König von seinem Bruder ermordet
wurde, fiel El Cid in Ungnade. Er verdingte sich bei dem maurischen Gegner und
vollzog seine weiteren Heldentaten gegen seine Glaubensbrüder. Er eroberte
Valencia, wo er bis zu seinem Tod herrschte.
    Eine seiner Heldentaten wird so
erzählt: Es war wieder einmal erforderlich, neue Truppen aufzustellen, aber das
Geld dafür war nicht vorhanden. Cid hat zwei große Geldkisten mit Steinen
füllen lassen und mit der Behauptung, es wäre Gold drin, sie zwei Juden als
Pfand angeboten gegen eine Bargeldanleihe. Die Juden sind bekanntlich doof und
fielen natürlich auf diesen Trick rein. Eine der zwei hölzernen Schatztruhen
ist in der Kathedrale ausgestellt, sie hängt an der Wand der Kapelle Corpus
Christi.
    Wodurch ist der Mensch bloß
Nationalheld geworden? Ich verstehe es nicht!
    Morgen früh fährt Suzanne nach
Deutschland zurück. Sie wird mir sehr fehlen.
     
     

Donnerstag, am 26. Juni
Von Burgos nach Castrojeriz
    Suzannes Zug fährt um halb fünf. Nachts allein durch
Parkanlagen und durch die Bahnhofsgegend zu laufen, ist nicht jederfrau Sache.
So begleite ich sie zu ihrem Zug und winke ihr lange nach.
    Es ist noch stockdunkel. Die Straßen
sind wie ausgestorben, nicht mal ein früher Jogger ist unterwegs. Sogar für
Hunde ist es noch zu früh, Gassi zu gehen.
    Der aus Burgos hinausführende Weg ist
wesentlich schöner, als der, der vorgestern in die Stadt hineinführte. Erst
laufe ich am Fluß Arlanzón entlang, später durch schlafende Vororte. Hinter den
letzten Häusern führt der Feldweg durch einen Pappelwald, wo ich manchmal
Schwierigkeit habe, im Dunkeln den weiteren Wegverlauf auszumachen. Erst bei
dem Dorf Villalbilla dämmert der Morgen, doch richtig hell will es gar nicht
werden. Der Himmel ist dicht bewölkt. Ob es heute regnet? In der letzten Zeit
habe ich unwahrscheinliches Glück mit dem Wetter gehabt.
    Bei Tardajos mache ich eine kurze
Pause. Es ist erst sieben Uhr und ich habe schon zehn Kilometer geschafft! Wenn
das so weitergeht, habe ich ab Mittag nichts zu tun!
    Im Weiteren ist das Gelände ziemlich
flach, die Berge haben sich zum fernen Horizont zurückgezogen. Bald weicht auch
das Himmelsgrau. Über mir wölbt sich die unendliche blaue Himmelskugel, in der
schöngeformte federleichte Wolkenkissen schweben. Und wieder dieses unfaßbar
leuchtende Licht, dieses Singen der Farben, das Gold der Weizenfelder, das
blendende Weiß, Rot und Gelb der Wildblüten, das grüne Gras und das Rostgelb
des Feldweges... Ich könnte nach jedem Schritt ein neues Foto machen, jeder
Blick durch den Sucher der Kamera ergibt ein Kalenderblatt! Gott, ist die Welt
schön! Wie stand in der Schweiz an der Wand der Hütte? „Macht nur die Augen
auf: überall ist es schön!“ Wie wahr!
    Ich merke, daß ich die Natur um mich
schon lange nicht mehr so glückbringend wahrgenommen habe wie heute. Ob das
damit zusammenhängt, daß ich wieder allein laufe?
    Allein schon, aber keineswegs einsam!
Nur auf dem Wegstück, das ich einsehen kann, laufen etwa zwanzig Pilger, lauter
mir unbekannte Menschen, die ich gestern in der Herberge kaum wahrgenommen
habe. Obwohl einige schon äußerlich recht merkwürdig sind, wie beispielsweise
ein baumlanger blonder Jüngling. Außer seinem großen Rucksack trägt er eine
prallgefüllte handgewebte Hirtentasche, die er vor seiner Brust baumeln läßt.
Zusätzlich werden seine beiden Arme von schweren Tragetaschen in die Länge
gezogen. Seine Gangart ist dementsprechend langsam und schwerfällig. Ich hole
ihn ein, grüße ihn, versuche, ein kurzes Gespräch anzuzetteln, aber alles
vergebens: Er scheint mich nicht wahrzunehmen! Das verwirrt mich.
    Hornillos del Camino ist ein typisches
Straßendorf, bestehend aus einer einzigen langen Straße, die mit dem
historischen Pilgerweg identisch ist. Solche als Pilgerstation entstandene
Siedlungen sind wie Knoten auf einer Schnur aufgereiht. So wird der spanische
Jakobsweg oft als sirga bezeichnet, wie der verknotete Strick der Mönchkutte.
    Das gelbe Weizenmeer glättet seine
Wogen. Das ebene Land dehnt sich und es schein keine Grenzen zu finden. Kein
Baum und kein Menschenswerk hält meinen frei umherschweifenden Blick fest und
außer der Erde, die mich trägt und dem Himmel, der alles

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