Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Mal und
bitte Gott, mir bei der Lösung der sich vor mir hochtürmenden Schwierigkeiten
behilflich zu sein.
Auch den beiden kleinen Pilgermännchen
im Kreuzgang erstatte ich einen kurzen Abschiedsbesuch. Plötzlich meine ich,
die Szene zu verstehen! Es ist doch ein Jakobspilger mit einer Frau: mit seiner Frau! Diese ist die einzige
Erklärung! Mir ist keine andere Darstellung bekannt, die von den Störungen und
Schwierigkeiten berichtet, die fast notwendigerweise entstehen, wenn ein Pilger
sich von seiner Frau für längere Zeit verabschiedet.
Um auf das höher gelegene Plateau zu
gelangen, steigt der Feldweg in einem für diese Gegend so typischen lichten
Eichenwald. Unter den mit grauen Flechten bewachsenen Bäumen ist der steinige
Boden oft kreisförmig glattgefegt: Hier wachsen die berühmten schwarzen
Trüffel. Wenn sie denn wachsen. Angeblich tun sie es von Jahr zu Jahr weniger.
Die Waldstücke sind mit niedrigen Steinmauern umfriedet. Manche der Felder
werden nicht mehr bewirtschaftet, viele dieser Mauern haben ihre Aufgabe
verloren. Sie zerbröckeln; nur ein bemooster niedriger Trümmerstreifen zeigt,
wo die Begrenzung verlief. Auch die Wege bestehen aus demselben Material wie
das ganze, trockene Land, nämlich aus weißem Kalkstein. Eidechsen und Schlangen
lieben solche Gelände. An einem der Bäume wird mit einem handgeschriebenen
Schild vor den Kreuzottern gewarnt.
In der Zeit, die ich in Cahors
verbracht habe, ist die Natur weiter fortgeschritten: Die Ginster sind
verblüht. Damit ich die schönen gelben Blüten nicht vermisse, wurden sie durch
die gleichfarbigen Blüten des Hufeisenklees ersetzt, die jetzt die Wege säumen.
Die von den vergangenen Tagen übriggebliebenen Regenpfützen werden von
zahlreichen kleinen blauen Schmetterlingen als willkommene Tränke benutzt.
Die Luft ist wärmer als in den
vergangenen Tagen. Das Laufen fällt mit nicht so schwer, wie ich befürchtet
habe. Ich keuche und huste zwar wie ein altes Walroß, aber Kraft habe ich
genug. Mein Rucksack ist etwas leichter geworden. Ich habe mich, hoffentlich
nicht zu früh, auf „Sommerbetrieb“ umgestellt, indem ich meine Wintersachen in
Cahors gelassen habe.
Hinter Labastide-Marnhac ist die
Bodenfläche landwirtschaftlich stärker genutzt. Es ist ein karger, steiniger
Boden, mehr Stein als Boden; die Gerste ist niedrig, ihr Wuchs ungleichmäßig.
Wo die Fläche nicht gepflügt ist, wiegt sich das weichbehaarte Federgras in dem
milden Frühlings wind. Das läßt bei mir Erinnerungen an meine alte ungarische
Heimat aufkommen. Dort heißt dieses zarte Gewächs „Waisenmädelshaar“ und hat,
als Symbol der Puszta, einen Kultstatus. Lange Zeit habe ich gedacht, dieses
Gras wächst ausschließlich in Ostungarn, in der Puszta Hortobágy. Ja, auch hier
wächst es. Nur die Wacholderbüsche passen nicht zu meinem Bild: Die gibt es
nicht in Hortobágy.
Ich erreiche Lascabanes, wo ich mir
telefonisch ein Zimmer bestellt habe. Das Haus wird in meinem französischen
Pilgerführer empfohlen. Das Etablissement liegt etwas außerhalb, in St-Gery.
Das Landhaus ist zwar etwas vornehmer ausgefallen als ich von einem für Pilger
empfohlenen Gasthaus erwartet hätte; auch die ausgehängte Preisliste ist
entsprechend: Zimmer mit Halbpension für 110,- Mark. Was soll’s? Ich freue mich
auf die Dusche und das gute Essen.
Eine smarte junge Frau empfängt mich.
Sie schaut meine Wanderbekleidung — immerhin beste Markenqualität — an und
erklärt mir, daß das hier keine Pilgerherberge sei. Ich sage, daß ich das auch
nicht vermutete und übrigens das Zimmer schon vor zwei Tagen bestellt hätte.
Das sei was anderes, sagt sie, allerdings koste das Zimmer ohne Frühstück 170,-
Mark und das sei für mich sicher zu teuer. Ich frage sie, was es mit der
ausgehängten Preisliste für eine Bewandtnis habe. Die Zimmer seien leider nicht mehr frei, sagt sie.
Es ist offensichtlich, daß diese
versnobte Tussi mich in diesen aufgemotzten Kuhstall nicht reinlassen will.
Unter normalen Umständen würde ich jetzt auf das Vertragsrecht pochen und sie
fragen, ob sie einen guten Anwalt hat, aber in einem vom Guten und Bösen
verlassenen Dorf mit dreißig Häusern und ohne die Möglichkeit, von hier
wegzukommen, geht die größte Kampfeslust ins Leere.
Ich gehe zum Gemeindeamt. In dem
kleinen Büro an der Durchgangsstraße sitzt ein Herr, dem ich mein Leid klage.
Er kennt und bedauert das Problem, das sich leider tagtäglich wiederhole. Er
hat aber die Lösung
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