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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Canal de Golfech, ein Seitenkanal der
Garonne. Der mit alten Platanen gesäumte Pfad ist gut zu laufen und ist recht schön,
aber auch etwas eintönig. Dann muß ich das breite Schwemmland zwischen dem
Kanal und dem Fluß überqueren. Das flache Terrain ist mit Apfelbäumen
kultiviert oder mit Pappeln aufgeforstet. In nicht allzu großer Entfernung
dampfen die hohen Kühltürme eines Atomkraftwerkes. Bald erreiche ich das Dorf
Espalais und die rostige Hängebrücke: Jenseits der Garonne liegt das Städchen
Auvillar.
    Die Herberge befindet sich in einem
alten renovierungsbedürftigen Stadtpalast. Ich hole den Schlüssel im
Touristenbüro ab. Da ich der einzige Gast bin, kann ich mir mein eigenes Zimmer
aussuchen. Das Bett muß ich allerdings etwas verrücken, damit der hängende
Deckenputz nachts mich nicht erschlägt. Auf dem Fußboden flitzen Eidechsen
munter herum. Ein gutes Zeichen: Sie fressen das Ungeziefer auf.
    Der runde Hauptplatz der Stadt ist
hervorragend restauriert. Auvillar ist im Mittelalter eine wichtige Station der
Flußschiffahrt und ein bedeutender Handelsplatz gewesen. Die mit Arkaden
versehenen stattlichen Häuser sowie die die Platzmitte einnehmende runde
Markthalle sind Zeugen dieser Zeit.
    Von der ehemaligen Benediktinerkirche
St-Pierre ist noch der romanische Turm erhalten, der als merkwürdige Halbruine
neben dem heutigen gotischen Bau steht.
    Alle erhaltenswerten Bauten zu renovieren,
dazu reicht das Geld auch hier nicht. Nur fünfzig Meter von der
Postkartenidylle entfernt fallen die Dächer ein, stürzen Mauern um.
    Ich versuche,
noch etwas Essen zu bekommen, aber es gibt kein Eßlokal, das noch offen wäre.
     
     

Montag, am 26. Mai
Von Auvillar nach Biran
    Ich möchte etwas für das Frühstück besorgen: Ein typischer Fall von „Denkste“! Es ist
Montag, und montags sind in Frankreich fast alle Geschäfte zu. In einem
Tabakwarengeschäft bekomme ich doch noch ein Baguette. Ich habe noch ein wenig
Instantkaffee. So esse ich trockenes Brot mit bitterem Pulverkaffee.
    Ich lasse mich im Gemeindeamt beraten,
wo ich heute abend schlafen soll. Sie empfehlen mir den Bauernhof Biran. Ich bestelle
dort ein Zimmer und gehe los. Die hügelige, relativ dünn besiedelte Landschaft
erinnert mich an mein geliebtes nordhessisches Zuhause: viel Grün, die Anhöhen
bewaldet, friedlich weiden die Kühe auf den Blumenwiesen. Zum Thema „Hunde“
gibt es Neues zu berichten: Hier kann man überall eine eigenartige Hundesorte
beobachten. Sie sind klein, x-beinig, haben spitze Ohren, vorstehende Augen,
einen tiefhängenden Bauch und eine piepsige Stimme. Ob das eine spezielle
Züchtung oder nur eine Hundekrankheit ist, konnte ich nicht in Erfahrung
bringen.
    In einem eingezäunten Garten bellen
sich, als ich vorbeilaufe, zwei Hunde richtig in Rage. Der eine ist ein großes,
zotteliges Tier, der andere von der besagten Zwergsorte. Der kleine versteckt
sich hinter dem großen, als ob er seinen großen Bruder vorschieben würde. Sein
dünnes Stimmchen überschlägt sich, und als er die eigene Wildheit nicht mehr
beherrschen kann, beißt er in den Hintern seines großen Freundes. Der macht ein
so erstauntes Hundegesicht, wie es Walt Disney nicht besser zeichnen könnte.
    Mittagspause mache ich erst nach
St-Antoine, wo am schattigen Waldrand das hohe Gras wächst. Es ist himmlisch
ruhig und einsam hier. Ich liege auf dem Rücken. Die laue Luft, der Schatten
der Bäume, das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel umhüllt mich
wie eine weiche Bettdecke. Aus dieser Perspektive sieht die Welt völlig anders
aus, als wir sie durch unsere weitschweifende globale Betrachtungsweise kennen.
Alles, was hundert Meter entfernt ist, ist nicht mehr existent. In nur einem
Meter Umkreis geschehen in jeder Sekunde mehr Wunder, als wir in tausend
Büchern beschreiben könnten.
    Liebe, liebe Ameisen, laßt mich bitte
eine Weile in euerer Welt verweilen!
    Aus dem Mittagsschlaf werde ich vom
Hunger geweckt: Ich habe nichts zu essen.
    Nachmittags wird es wieder sehr heiß.
Hungrig und naßgeschwitzt erreiche ich den alleinstehenden Bauernhof Biran. Ich
werde von einer Dame herzlich begrüßt, die mich fragt, ob ich etwas zum Essen
mitgebracht habe; sie kann mir nichts geben, weil sie jetzt wegfahren muß.
    Das Zimmer ist schön, in dem Bad gibt
es eine richtige Wanne. So kann ich im heißen Wasser liegend darüber
nachdenken, wie es mir passieren kann, daß ich ausgerechnet in Frankreich
hungern muß.
     
     

Dienstag, am

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