Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
müssten wir schon unter uns klären. Als ich ihn auf das ansprach, was im vierten Stock des Herbsthauses seit Jahrzehnten vor sich geht, da blockte er ab.
„Also davon weiß ich nichts, von irgendwelchen Spukgeschichten. Nee, also da müssen Sie wirklich mit jemand anders drüber sprechen.“
„Aber der Herr Strauss hat doch extra mit Ihnen organisiert, dass ich in diese Wohnung komme. Also wegen diesen paranormalen Phänomenen.“
„Nee, davon weiß ich nichts. Ich hab' auch überhaupt nicht nachgefragt, warum der Strauss Sie unbedingt dort in der Wohnung haben wollte. Nee, also von so was weiß ich wirklich nichts.“
Zumindest habe ich es geschafft, den Dreckskerl zu überreden, Paula ein Kündigungsschreiben zu schicken.
„Aber da ist natürlich Frist, ich kann die ja nicht einfach rausschmeißen. Und wie gesagt: Ihre Probleme, die müssen Sie schon selbst klären.“
Auch mit Paulas Eltern habe ich gesprochen, sogar mit ihrer besten Freundin, auf die ich immer ein bisschen eifersüchtig war. Immer der gleiche Scheiß: Ihr müsst eure Probleme schon selbst klären, ich mische mich da nicht ein.
Paulas Mutter habe ich sogar erzählt, dass ich befürchte, ihre Tochter könnte sich etwas antun. Nein, das glaube sie nicht, sie habe gestern noch mit ihrer Tochter gesprochen und da habe sie einen ganz normalen …
Was für eine Scheiße! Ich fühle mich zum Kotzen hilflos. Jetzt stehe ich schon wieder in diesem beschissenen runden Flur. Gleich werde ich schon wieder bei ihr an die Tür klopfen und darauf hoffen, dass sie mich in die Wohnung lässt, dass sie mir zuhört, dass sie ihre Sachen packt und mitkommt, und dass … dass alles wieder gut wird. Ja verdammt, es soll gefälligst alles wieder gut sein!
„Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“
Die Stimme kommt von hinten. Ich habe Paula nicht kommen hören, so war ich in Gedanken. Es soll alles wieder gut werden … es soll alles wieder …
Bevor ich ihr antworten kann, geht Paula an mir vorbei Richtung Wohnung. Sie stellt ihre Tasche ab und schaut mich an. Sie sieht müde aus, müde und genervt.
„Warum lässt du mich nicht in Ruhe, Lena?“
„Weil mir so verdammt viel an dir liegt … und weil ich nicht will, dass dir was passiert.“
„Mir passiert nichts“, antwortet Paula. „Geh jetzt. Ich ruf dich in ein paar Tagen mal an. Hau jetzt bitte ab.“ Die letzten vier Worte kommen sauber voneinander getrennt, jedes Wort ein kleiner Befehl … jedes Wort eine kleine Drohung.
„Das ist auch meine-“
„VERPISS DICH ENDLICH!“, brüllt Paula mich an. Sie rammt ihren Schlüssel ins Schloss. Ein Wunder, dass sie trifft.
„SEI NICHT SO SCHEISS PENETRANT!“
Ich stehe nur da und kann nicht begreifen, wie es so weit kommen konnte. Was habe ich denn getan? Ich bin doch diejenige, die Alpträume hat. Ich bin doch diejenige, der man helfen muss … ich bin doch die mit den Problemen. Plötzlich eine andere Stimme, gerade als ich mich ein klein wenig wohl zu fühlen beginne in meinem klebrigen Selbstmitleid: Moment Lena, jetzt mal hübsch der Reihe nach. Du bist auch diejenige, die sich in Lügen verstrickt hat. Du bist diejenige, die ihre Freundin in diese beschissene Situation gebracht hat … und wenn Paula etwas passieren sollte, dann bist du schuld. Du hast sie angelogen und sie auf den Mund geküsst, innerhalb einer einzigen dreckigen Minute. Du hast …
Das bringt nichts, das bringt alles nichts. Paula verschwindet ohne ein weiteres Wort in der Wohnung und ich verlasse erschöpft das Herbsthaus, den Kopf voller Gewissensbisse, voller Angst und … ja, voller Hass. Am liebsten würde ich Paula an den Haaren aus der Wohnung zerren. Als ich auf dem Parkplatz stehe, da springt mich die Erinnerung daran an, was sie mit dem Raben gemacht hat. Wie heiße Magensäure steigt mir die Wut hoch. Heute Nacht soll Paula die furchtbarste Nacht ihres Lebens haben, dieses Ding soll zu ihr ins Bett kriechen, sie anfassen mit seinen kalten Händen… und dann soll Paula das entstellte Gesicht sehen, den schiefen Mund, das hängende Auge … An den Haaren … an ihren verdammten Haaren möchte ich sie aus dem Haus zerren. Haare, Haare, Haare. Hare Krishna Hare Hare … mir kommt eine Idee. Die Haare … was ist mit den Haaren? Was ist mit diesen scheiß Haaren, die ich hinter der Tapete gefunden habe? Was hat Strauss noch zu den Haaren gesagt? Nichts, nichts hat er gesagt. Er hat irgendwas von Teppichen und von der Schule gemurmelt, bevor er
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