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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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schon grau.“
    Ich warte auf eine Reaktion von ihm … nichts. Strauss' Tochter ist hinter mir ins Zimmer getreten. Will sie, dass ich ihn in Ruhe lasse? Etwas muss ich noch sagen.
    „Ich möchte jetzt möglichst schnell raus aus der Wohnung … also nach dem, was letzte Nacht passiert ist. Aber ich weiß nicht, wie ich meine Freundin dazu kriegen soll, dass Sie mitkommt. Vielleicht haben Sie ja eine Idee.“
    Der letzte Satz kommt mir albern vor, noch während ich ihn ausspreche. Von diesem Mann ist keine Hilfe mehr zu erwarten, sein Gehirn ist voller Schmerzmittel. Strauss' Tochter macht ein paar Schritte auf mich zu. Okay, okay, ich lass ihn ja gleich in Ruhe. Leise stöhnt er auf, der sterbende Mann, dann sagt er doch etwas. Wenn ich ihn richtig verstehe, dann sagt er, dass die Teppiche raus müssen, bevor die Schule anfängt. Strauss lächelt und ich wünsche ihm in Gedanken, dass er sich wohl fühlt, wo immer er auch gerade ist.
    Der Abschied, ein letzter Blick zurück: Da liegt er in seinem Krankenbett, umgeben von abstrakter Kunst und Tausenden von Büchern. Hat sich dieses Leben gelohnt? Hat sich das Lesen all dieser Bücher gelohnt? Hat es sich für ihn gelohnt, Zeit und Energie in seine drei oder vier Doktortitel zu investieren? Ist er zufrieden? Stirbt er zufrieden? Glaubt er daran, dass er – in welcher Form auch immer – weiterexistieren wird? Oder segelt er einfach nur auf einem kunterbunten Meer aus Schmerzmitteln, aus dem ab und zu ein glitschiger Brocken Realität auftaucht, nur um gleich wieder auf den kilometerweit entfernten Grund zu sinken? Immerhin hat er mich erkannt. Und er hat mich gefragt, ob es etwas Neues gibt.
    Als ich wieder in meinem Auto sitze, komme ich mir furchtbar alleine vor. Ich greife nach meinem Telefon und überlege, von wem ich noch Hilfe erwarten kann. Soll ich bei der Polizei anrufen und denen sagen, dass Paula mich geschlagen und aus der Wohnung geworfen hat? Scheiße nein, das kann ich nicht machen. Aber was denn sonst?
    Mir fällt ein, dass ich vergessen habe, Strauss die Bilder zu zeigen, die ich mit meinem Handy in der Wohnung aufgenommen habe. Ich könnte zurück gehen und das nachholen … ach was, es würde nichts bringen. Strauss ist schon auf halbem Weg nach drüben … was auch immer dieses „Drüben“ ist. Außerdem muss er noch die Teppiche raus bringen, bevor es zur Schule geht.
    Mein Gott, ich hätte nie gedacht, dass es so schnell geht.
     
    ***
     
    Ein Tag und eine Nacht sind vergangen, die zweite Nacht in meinem alten Kinderzimmer. Wie angekündigt hat Paula meine Sachen in einen Koffer und in eine Reisetasche gepackt. Alles stand fertig vor der Wohnungstür, sie hatte von innen abgeschlossen und den Schlüssel stecken lassen. Fast eine halbe Stunde lang habe ich geklopft, geklingelt und nach ihr gerufen. Keine Reaktion. Ich habe versucht, ihren Schlüssel mit meinem Schlüssel aus dem Schloss zu drücken – ohne Erfolg. Und wenn ich sie anrufe, dann kommt nur die Durchsage, dass „der Teilnehmer“ momentan nicht erreichbar ist.
    Als alles Klopfen und Klingeln nichts brachte, da habe ich – ohne so recht zu wissen, was ich sie überhaupt fragen wollte – bei Frau Diehl geklopft. Die alte Frau schleppte sich zur Tür, schaute durch den Spion und ging nach einige Sekunden – hat sie überlegt, mich reinzulassen? – wieder zurück zu ihrem quäkenden Fernseher. Ich dachte wirklich, sie wäre nicht mehr wütend auf mich … sie hat mir doch dieses Fotoalbum hingelegt, das war doch von ihr.
    Beinahe hätte ich ja einfach ihre Tür aufgeschlossen … mein erster Hausfriedensbruch. Den Generalschlüssel habe ich mir geschnappt, als Paula mich rausgeworfen hat. Sie hat ihn nicht bemerkt, meinen kleinen Diebstahl. So Frau Diehl, jetzt sagen Sie mal, was das für eine Scheiße mit Ihrer großen Schwester ist. Warum ist sie noch hier? Und was zum Teufel ist mit ihrem Gesicht los?
    Ich könnte mich auch irgendwo hier einnisten, in der Wohnung mit den Insekten vielleicht. Ich könnte einfach hier bleiben und warten, bis Paula weg ist … und dann, dann könnte ich … hm, was eigentlich? Was könnte ich? Ich muss dafür sorgen, dass Paula mit mir mitkommt, dass sie dieses beschissene Haus verlässt. Aber wie?
    Oh Gott, in was sind wir nur hineingeraten?
    Gestern, direkt nach meinem Besuch bei Strauss, habe ich Egner angerufen. Der Scheißkerl fühlt sich nicht zuständig. Er interessiere sich nicht, so Egner, für die Streitigkeiten seiner Mieter, die

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