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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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pack' dir deine Sachen zusammen, die kannst du in einer halben Stunde abholen. Wir brauchen dringend eine Pause.“
    Sie macht einen Schritt auf mich zu. Sie meint es ernst. Wenn ich ein Mann wäre und achtzig Kilo wiegen würde, dann würde ich sie …
    „Paula, ich-“
    „Raus hier Lena. Entweder du gehst jetzt freiwillig oder ich muss nachhelfen. Du weißt einfach nicht, wann es genug ist.“
    „Scheiße Paula! Ich kann dir meinen Kontostand zeigen, da ist das Geld von Strauss drauf. Lass uns doch einfach in Ruhe reden, wir müssen das doch irgendwie hinkriegen.“
    Sie schüttelt den Kopf und macht noch einen Schritt. Was denkt die sich eigentlich? Das ist genauso meine Wohnung! Ich habe die scheiß Wohnung überhaupt erst organisiert!
    „Hau jetzt ab, Lena. Hau jetzt endlich ab. Ich brauch verdammt noch mal 'ne Pause von dir.“
    Ein letzter Versuch, ich mache einen Schritt auf sie zu, will ihr über die Wange streicheln. Aber sie packt meinen Arm.
    „Hör auf! Lass es gut sein!“ In Paulas Stimme schwingt so viel unterdrückte Wut, dass es mir kalt über den Rücken läuft. Widerstandslos lasse ich mich wegschieben. Ich stehe auf dem Flur und höre, wie von innen abgeschlossen wird. Den Schlüssel lässt Paula stecken.
     
    ***
     
    Als ich durch die große Holztür trete, da kommt mir der Geruch des Todes entgegen. Höchstwahrscheinlich ist es nur Einbildung, was soll das überhaupt sein, der Geruch des Todes? Wahrscheinlich riechen unterschiedliche Tode auch ganz unterschiedlich. Aber als mir Strauss' Tochter öffnet und ich in den breiten Flur trete, da bin ich mir sicher, einen matten, süßlichen Duft wahrzunehmen … und dann denke ich: Das ist der Geruch des Todes, so riecht das Sterben. Und wenn man ihn sehen könnte, dann würde ich ihn hier irgendwo entdecken, den Knochenmann mit seiner Sense. Aufrecht neben dem Bett, draußen vor dem Fenster … auf dem Kleiderschrank kauernd, zum Sprung bereit.
    Strauss liegt in seinem Krankenbett, das nun auch immer mehr nach Krankenbett aussieht. Der letzte Schein der Normalität – da liegt einfach nur ein Mann im Bett, der sich ein wenig von seinem anstrengenden Leben ausruht – ist gänzlich verschwunden. Neben Strauss, auf dem kleinen Tischlein, warten Tuben mit irgendwelchen Salben neben einer Flasche Händedesinfektion und halbleeren Medikamentenpackungen. Strauss hängt am Tropf, wahrscheinlich Schmerzmittel. Die Tochter zieht mir einen Stuhl heran und ich setze mich. Oh Gott, dieser Geruch … Staub und Medizin, Krebsschweiß und Waschmittel.
    „Hallo Herr Strauss.“
    Er dreht seinen Kopf, öffnet halb die Augen.
    „Frau Pander ...“
    Zumindest erkennt er mich noch. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich seine Hand nehmen? Oder wäre das unangebracht? Strauss nimmt mir die Entscheidung ab, er hebt seine rechte Hand und bewegt sie langsam in meine Richtung. Ich greife zu und bin erstaunt darüber, wie warm sie sich anfühlt, wie lebendig. Ich weiß nicht, warum ich auf das rosafarbene Plastik der Venenkanüle starre. Vielleicht traue ich mich bloß nicht, ihm in die Augen zu sehen.
    Als wir uns die Hände gegeben haben, atmet Strauss einige Male ein und aus. Dann spricht er, leise zwar aber verständlich.
    „Schön, dass Sie mich besuchen … gibt es denn etwas Neues?“
    Ich beuge mich zu ihm (Krebsschweiß und Waschmittel!) und berichte ihm von der letzten Nacht, davon, dass sie zu mir ins Bett gekommen ist und dass ich aus der Wohnung geflohen bin. Dann auch von dem Traum mit dem Aufzug und von dem schwarzen Tier, das sich … das ich mit meinem Gebrüll in einen Klumpen schwarzer Fliegen verwandelt habe. Strauss hört mir mit geschlossenen Augen zu. Ab und zu nickt er, manchmal macht er „mhm“. Ich bin mir nicht sicher, ob er alles mitbekommt, was ich ihm erzähle. Vielleicht ist es ihm mittlerweile auch einfach egal.
    Etwas wacher wirkt Strauss, als ich ihm von dem Haarklumpen berichte, den ich hinter der Tapete gefunden habe. Seine Pupillen bewegen sich hinter den Lidern, hinter zerknitterter, fast brauner Haut.
    „Wahrscheinlich sind diese Haare von ihr … also die sahen schon älter aus. Wissen Sie vielleicht, was das zu bedeuten hat?“
    Strauss atmet hörbar aus.
    „Haare von ihr“, murmelt er. Ich warte einige Sekunden …aber es kommt nichts mehr.
    „Ja … also wahrscheinlich. Die Schwester von Frau Diehl war ja keine junge Frau mehr, die hat ja bis in die Achtziger in der Wohnung gelebt … und einige der Haare waren

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