Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
werfe ihn auf den Haufen, übergieße alles mit Brennstoff – nicht so viel, Lena! Nicht den ganzen Kanister! – zünde alles an und verbrenne mir die rechte Hand. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Hätte nicht gedacht, dass die Flammen gleich so hoch schlagen. Aber egal, jetzt brennt das Zeug, jetzt habe ich mein Feuer. Schon ist das Affenkostüm nur noch ein schwarzes, schrumpfendes Etwas, gar nicht mehr richtig zu erkennen in den Flammen. Ich wünschte, das Ding würde schreien und sich winden, brennend über den Parkplatz kriechen. Aber das tut es nicht. Es verbrennt einfach, es ist nur ein Gebilde aus Stoff, Zähnen, Glas und Leder … das ist nicht sie. Sie ist – kalt wird mir die Unsinnigkeit dessen bewusst, was ich hier tue – sie ist oben im vierten Stock. Und es ist schon fast wieder dunkel. Bald wird sie aus ihrem Versteck kommen, aus ihrem Zimmer … oder ist sie schon da? Ist sie bei Paula? Hatte ich deshalb dieses komische Gefühl, weil sie schon da ist?
Ich stelle sicher, dass nichts in der Nähe ist, auf das die Flammen überschlagen können, und betrete das Herbsthaus. Wie oft bin ich schon diese Treppen hoch und runter gerannt. Paula wird mich nicht hereinlassen, deshalb gehe ich direkt zu der Wohnung, von der alles ausgeht. Bist du da? Stehst du im Flur … in deiner Affengestalt? Oder bist du gerade das kleine Mädchen mit den Verbänden um den Kopf?
Ich drehe den Schlüssel im Schloss und betrete einen langen, leeren Flur.
Blut
Nein, da ist keine Erscheinung, keine Silhouette im Halbdunkel. Kein schwarzes Tier, kein verletztes Mädchen und keine alte Frau. Niemand auf dem Flur und niemand in dem großen Zimmer mit den Fenstern zum Parkplatz. Mein Feuer brennt noch, ich kann es von hier oben sehen. Es ist schön, dieses Feuer. Ich sollte dieses ganze verdammte Haus abfackeln. Auf einmal kommt mir der Gedanke, dass sich Paula vielleicht etwas angetan hat … so wie der Typ, der sich am Heizungsrohr erhängt hat, so wie Schlechter mit seinem Messer.
Ich brauche einige Sekunden, um mich zu beruhigen, um mich in einen Zustand zu bringen, in dem ich denken und handeln kann. Dann gehe ich hinüber in das Zimmer mit dem Schaukelstuhl, in das unsichere Zimmer … in dem die Kinder nicht schlafen wollten. Ich stelle mich in die Mitte des halbdunklen Raumes, aktiviere die Taschenlampen-Funktion meines Handys und lege das Ding flach auf den Boden. Komm schon! Zeig dich! Oder ist es dir nicht dunkel genug? Ich bin mir sicher, dass von hier alles ausgeht. Ich bin mir sicher, dass du hier erscheinst und von hier aus umgehst.
ZEIG DICH ENDLICH!
Aber nichts passiert. Ist sie drüben bei Paula? Steht sie neben mir und ich sehe sie nicht? Ist sie überall? Ist sie in den Wänden und in den Fußböden, in dem alten Schaukelstuhl, in den Fensterrahmen und im Samt des Fahrstuhles? Ist sie in unseren Köpfen und in unserer Kleidung, in jeder unserer Zellen, in meinen Fingernägeln und den Augenwimpern? Ich stehe da und erkenne meine beschissene Naivität. Das hier ist keine der Gespenstergeschichten, die wir uns als Kinder erzählt haben. Dass ich verschiedene Gestalten gesehen habe, das heißt überhaupt nichts. Ich weiß nicht, mit was ich es hier zu tun habe … im Grunde kann ich mir nicht einmal sicher sein, dass es wirklich Frau Diehls Schwester ist, die … vielleicht hat ja nur etwas anderes ihre Gestalt … und dann, dann fällt mir etwas ein. Was war das mit den Haaren? Welche Bedeutung hatte dieses Gewirr aus Haaren, das ich aus dem Fenster geworfen habe? Wieso hat sie – oder wer auch immer – diese Haare unter der Tapete versteckt?
Ich stürze zu der Stelle neben dem Fenster, greife mir einen Fetzen der losen Tapete und zerre daran. Ein Stück reißt ab, so groß wie zwei A4-Blätter. Nichts darunter, keine weiteren Haare … also weiter! Nicht aufgeben! Ich kralle meine Fingernägel in die weiche Oberfläche, reiße die Tapete von den Wänden. Und dann – Ja! Mein Gott, ja! –, dann ist da ein weiterer Haarklumpen, groß wie meine Handfläche. Ich löse das Ding aus dem getrockneten Tapetenkleister, öffne das Fenster und werfe es hinaus. Weiter! Immer weiter! Ich reiße die Tapeten von den Wänden, finde weiteres menschliches Haar, sechs, sieben Klumpen, werfe alles aus dem Fenster. Und dann, unter einer Tapetenbahn links neben der Zimmertür, stoße ich auf ein Stofftuch, das einen großen, dunkelbraunen Fleck hat. Das muss Blut sein, Blut wird mit der Zeit dunkelbraun. Ich ziehe den
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