Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
und eigentlich müsste doch jetzt wieder dieser Flur kommen, der zum Treppenhaus führt. Und was ist mit der Wohnungstür, hinter der es gebrannt hat? Die habe ich doch gerade eben noch gesehen? Die war doch ganz verbeult und … Scheiße! Bin ich jetzt komplett bescheuert? Ich drehe um, laufe in die andere Richtung. Jetzt müsste er kommen, der Flur zum Treppenhaus. Aber da sind nur Türen, alle gleich, alle geschlossen. Wo zum Teufel ist Herr Brandt? Und dann … wie aus einem verfickten, schmutzigen Hinterhalt, springt mich diese völlig irre Gewissheit an: Der Flur ist weg, der verdammte scheiß Flur, der zum Treppenhaus und zum Fahrstuhl und aus diesem Haus raus führt. Hier sind nur noch Türen und Wände und … oh Gott! Dreh ich jetzt durch? Ich bin mir völlig sicher, dass der Flur weg ist. Aber wie komme ich dann wieder hier raus? Ich drehe um, gehe in die andere Richtung. Es kann doch nicht sein, dass hier nur Türen sind. Ich muss einfach immer weitergehen, einfach immer weiter um diesen Schacht zum Innenhof herum, ich darf mich auf keinen Fall wieder umdrehen. Aber was, wenn der Flur einfach nicht kommt? Was, wenn ich eine Stunde laufe und nur Türen Türen Türen kommen? Plötzlich Geräusche, schwere, sich von hinten nähernde Schritte auf dem alten Teppichboden. Ich zucke zusammen und atme ruckartig ein, mein Nacken verhärtet sich. Dann eine Stimme, die ich kenne.
„Wo verstecken Sie sich denn?”
Ich drehe mich um und hinter mir steht Herr Brandt. Am liebsten würde ich ihm um dem Hals fallen.
„Die Tür war plötzlich zu. Ich wusste nicht mehr, in welcher Wohnung Sie sind.”
Der Mann in der Latzhose kratzt sich am Kopf.
„Na da drüben, auf der anderen Seite, Kommen Sie mit.”
Wir gehen ein paar Schritte und da ist sie, die offene Tür, direkt neben der ausgebrannten Wohnung. Und nur einige Meter weiter ist der Flur, der zum Treppenhaus führt. Alles an Ort und Stelle, alles wie es war und wie es sein muss. Was stimmt mit mir nicht? Oder stimmt jetzt wieder alles?
„Geht's Ihnen gut, junge Frau?”
„Ja, ich war nur gerade ein bisschen verwirrt.”
„Ich dachte schon, Sie sind abgehauen. Ich dachte schon, Sie sind zurück ins Treppenhaus.”
„Nein … ich bin hier einmal herum gelaufen und dann war ich auf der anderen Seite und dann … puh … dann habe ich irgendwie gedacht, dass der Flur weg ist und habe umgedreht. Und dann kam wieder nichts und ich habe noch mal umgedreht und … keine Ahnung, was da gerade los war.”
„Sie hätten nur einmal rundherum laufen müssen”, antwortet Herr Brandt.
„Ja, ich weiß … ich war wohl nicht ganz bei mir. Aber jetzt geht es wieder. Dass ich mich auf 'nem kreisrunden Flur verlaufe, das hätte ich auch nicht gedacht.”
„Dann sind Sie also die ganze Zeit hier hin und her gelaufen und ich hab Sie auf der anderen Seite gesucht. Dat is ja wie im Zeichentrickfilm.”
Herr Brandt grinst mich an und erst jetzt sehe ich, dass er zwei Goldzähne hat. Hatte er die vorhin schon? Die hätte ich doch sehen müssen.
„Alles okay bei Ihnen?”
„Ich müsste mal raus an die frische Luft. Mir ist gerade ein bisschen komisch.”
„Ja gut … ähm, Sie sehen auch sehr käsig aus.”
Als wir die Treppe hinunter gehen, habe ich Angst, dass meine Beine versagen. Ich kralle mich an das Geländer, plane jeden einzelnen Schritt. Einige Male sieht sich Herr Brandt zu mir um und fragt mich, ob ich Hilfe brauche. „Es geht schon”, antworte ich und versuche, möglichst normal auszusehen. Wir durchqueren die Eingangshalle, kommen an den Metallbriefkästen und an der Wunde vorbei, die die Entfernung des Mosaiks hinterlassen hat. Gott sei Dank, wir sind draußen.
„Jetzt holen Sie erst einmal tief Luft, junge Frau. Meine Gabi hats auch mit 'm Kreislauf. Wenn die zu schnell vom Sessel aufsteht, dann plumpst die gleich wieder rein. Dat ham ja viele Leute.”
Ich lehne mich an die kühle Hauswand, spüre an meinem Hinterkopf die kleinen Rauputz-Spitzen. Ich werde verdammt noch mal nicht umkippen. ES IST ALLES WIEDER IN ORDNUNG! Herr Brandt schaut mich mit großen Augen an, ich muss etwas sagen.
„Geht schon wieder. Ist schon wieder viel besser.“
Meine Stimme klingt sicher, jetzt müssen mich nur noch meine Beine sicher tragen.
„Vielleicht ham Sie zu wenig Zucker. Soll ich Ihnen was von der Tankstelle holen? Ne' Cola vielleicht?”
„Nein danke, geht gleich wieder.”
Immer noch diese großen Augen und der besorgte Gesichtsausdruck. Lass
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