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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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komisch, um die müssen Sie sich nicht kümmern. Insgesamt hat das Haus dreißig Wohnungen auf sechs Stockwerken.”
    Ich mache ein Geräusch, das nach Zustimmung klingt. Hinter mir das Schnaufen des schweren Mannes in Latzhose. Ich vermute stark, dass er mir trotz der Anstrengung, die ihm das Treppensteigen bereitet, auf den Arsch glotzt.
    „So, vierter Stock. Hier wäre die Wohnung.”
    Ich ziehe die Metalltür auf, Herr Brandt geht vor. Sein Atem rasselt und ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Mir fällt spontan mein Erste-Hilfe-Kurs ein. Wenn er umkippt, dann weiß ich, was zu tun ist.
    Wir laufen einen Korridor entlang, kommen an dem Aufzugschacht vorbei (auch hier ist die Kabine nicht, auch hier nur Dunkelheit) und betreten einen kreisrunden Flur, von dem mehrere Türen abgehen. In der Mitte der Schacht des kleinen Innenhofes, von oben betrachtet müsste dieses Haus aussehen, wie ein achteckiger Donut aus Beton … also mit Loch in der Mitte.
    „Herrje, wieso passt das jetzt nicht?”
    Herr Brandt macht sich an einer der Türen zu schaffen. Er probiert mehrere Schlüssel aus, schließlich hat er den richtigen. Er öffnet die Tür und sagt „Oh”. Ich sehe in einen Flur, in dem dunkle Holzmöbel stehen. An den Wänden hängen Bilder irgendwelcher Menschen, die meisten schwarzweiß.
    „Dat is die falsche Wohnung”, flüstert mir Herr Brandt zu. „Dat is von der Frau Diehl.”
    Er will die Tür zuziehen, aber da kommt aus der Wohnung eine Stimme, die Stimme einer alten Frau.
    „Hallo? Ist da jemand?”
    Sie klingt zugleich ängstlich und bestimmt. Wie jemand, der sich zusammenreißt, der nicht ängstlich klingen will.
    „Frau Diehl, ich bin es nur … Brandt. Ich hab mich in der Tür geirrt, tut mir leid. Ich will nicht stören.”
    „Wer ist da?”
    „BRANDT: ICH HABE MICH IN DER TÜR GEIRRT. ENTSCHULDIGUNG.”
    „Ach so. Herr Brandt. Was möchten Sie denn?”
    Die Stimme klingt nun überhaupt nicht mehr ängstlich.
    „NICHTS! ICH HABE MICH IN DER TÜR GEIRRT.”
    „Sie haben sich in der Tür geirrt? Na dann wünsch' ich Ihnen viel Glück, dass Sie mal die richtige Tür finden.”
    Ich muss lachen, versuche noch, es zu unterdrücken, schaffe es aber nicht. Herr Brandt dreht sich zu mir um.
    „Die ist über neunzig, die Frau Diehl”, flüstert er. „Aber geistig ganz klar. Hört bloß nicht mehr gut und ist auch nicht mehr gut zu Fuß.”
    Dann wieder laut:
    „WIEDERSEHEN FRAU DIEHL!”
    „Ja-ja, wiedersehen”, kommt es von irgendwo aus den Tiefen der Wohnung. Der Mann mit der Latzhose und dem grauen Pferdeschwanz zieht schwungvoll die Tür ins Schloss.
    „Wenn die nicht mehr gut zu Fuß ist, wie kommt die dann ohne Aufzug nach unten?”, frage ich.
    „Gar nicht, die geht nicht mehr raus. Zu der kommt zweimal am Tag jemand vom Roten Kreuz, die machen auch die Einkäufe für die.”
    „Ach so … deshalb das Auto unten.”
    „Genau.“
    Mich überfällt der Gedanke, dass es doch unheimlich beschissen ist, alt zu werden. Ein Dozent hat uns mal erklärt, man müsse den Alterungsprozess als eine Art Stoffwechselstörung betrachten, als eine Krankheit, die es zu bekämpfen und langfristig auszurotten gilt. Ich weiß, dass er mit seiner Ansicht ziemlich alleine dasteht, aber manchmal frage ich mich, ob nicht etwas dran ist an dieser Alter=Krankheit-Sache. Nur weil etwas schon immer so war, heißt das doch nicht, dass man es einfach hinnehmen muss. Vielleicht ist das Altern des Körpers in hundert Jahren ja besiegt, vielleicht gibt es in einigen Jahrzehnten ja Medikamente dagegen. Nur wohin dann mit den ganzen Menschen? Und was werden diejenigen tun, die sich die Medikamente gegen das Altern nicht leisten können?
    Jetzt sind wir zwei Türen weiter. Die Wohnungen sind nicht durchnummeriert und die Eingänge sehen alle gleich aus. Man kann sich eigentlich nur an dem Gang orientieren, der zum Aufzug und zum Treppenhaus führt.
    „Na also, wer sagt es denn.”
    Herr Brandt hat die richtige Wohnung gefunden und wir treten in ein großes, lichtdurchflutetes Zimmer. Der Raum hat bestimmt 40 Quadratmeter.
    „Nicht schlecht, oder?”
    Stimmt, das ist wirklich nicht schlecht. Okay, man könnte mal frisch streichen. Aber sonst…
    „Die Wohnungen sind alle unterschiedlich geschnitten. Die von der Frau Diehl zum Beispiel ist viel verwinkelter. Sie hätten hier dieses große Zimmer, dann links vorne ein kleines Schlafzimmer und eine Abstellkammer. Die Küche ist in dem großen Raum hier integriert. Das

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