Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
Vom Netzwerk:
tief, nichts kaputt machen. Wir sind jetzt drei Tage hier und haben immer noch nicht alles ausgepackt. Nicht einmal das Bett haben wir aufgebaut, es steht in seinen Einzelteilen an die Wand neben der Wohnungstür gelehnt. Paula scheint es zu gefallen, auf dem Boden zu schlafen. Eigentlich ist sie diejenige, die sich den handwerklichen Kram – Betten und Regale aufbauen, Möbel neu lackieren, Dübel in die Wände schieben und Schrauben reindrehen – unter den Nagel reißt, sie mag das einfach. Ich schaue dann, ob die Bilder gerade hängen und die Regale an der richtigen Stelle stehen.
    Bei Frau Diehl haben wir uns vorgestern kurz vorgestellt, ihr ging es nicht besonders, sie bat uns nicht herein. Scheint eine wache, durchaus streitbare Person zu sein, diese Frau Diehl. Sie hat graue, kurz geschorene Haare, Arme, an denen die Haut herunterhängt und ein Gesicht, das aussieht wie ein verschrumpelter Pfirsich, in dem aber doch noch etwas Saft steckt. Für ihre 92 Jahre, „Als ich in Ihrem Alter war, da hätte ich nie gedacht, dass ich mal 92 werde”, hat sie sich gut gehalten. Frau Diehl läuft wacklig, aber sie läuft ... in viel zu großen, rosafarbenen Hausschuhen. An ihren dürren, wie zwei lange Zahnstocher unter dem Morgenmantel hervorstehenden Beinen, sehen die Dinger aus wie Schneeschuhe.
    Die Familie, die unten im Haus wohnt, ein Elternpaar mit zwei Kindern, ist komplett unsympathisch, jeder einzelne von ihnen. Wir haben angeklopft, wollten uns vorstellen, und wurden behandelt wie lästiges Ungeziefer. Schon die Begrüßung durch den Vater war ein abgehacktes und hingeworfenes „Ja?”. Als ob wir ihm irgendeinen Scheiß andrehen wollten. Dann kam die Mutter dazu und die war dann noch unangenehmer. Wir haben beschlossen, diesen Leuten aus dem Weg zu gehen, den Kontakt auf das Nötigste zu beschränken. Aus der Wohnung roch es übrigens penetrant nach Kohl. Und die beiden Kinder, ein etwa achtjähriger Junge und ein kleines Mädchen, dessen Alter ich nicht schätzen kann, wirkten schon genauso verstockt wie die Eltern. „Nachwuchs-Arschlöcher”, sagte Paula.
    Jetzt ist es kurz nach zehn, Paula ist schon zwei Stunden weg. Ich habe heute Spätschicht, also von 14 bis 22 Uhr. Und außerdem habe ich versprochen, noch ein paar der Kartons auszupacken, bevor ich gehe. Muss das Zeug nur ausräumen, Paula wird später alles sortieren. Der Zettel, auf dem wir den Inhalt jeder der Kisten notiert haben, ist längst verloren gegangen, die Zahlen auf den Kartons geben nur noch Auskunft über die Reihenfolge, in der die Kartons gepackt wurden. Gut möglich, dass der Zettel selbst in einer der Kisten steckt.
    Okay, hier sind die DVDs und der Player. Wir schauen uns seit etwa einem Jahr ganze Fernsehserien auf DVD an, „Six feet under”, „Die Sopranos” und solche Sachen, fast nur Amerikanisches. Ich stelle alles auf den Boden und falte den Karton zusammen, für den nächsten Umzug. Eine halbe Stunde später sind drei weitere Kartons ausgepackt und flach zusammengefaltet. Wir haben doch mehr Kram, als ich dachte.
    Nachdem ich die Pflanzen gegossen und einen muffig schmeckenden, allerdings noch nicht abgelaufenen, Müsliriegel gegessen habe, sauge ich das Schlafzimmer. Wir haben ein kleines Fliegenproblem ... eigentlich ein großes. Dauernd liegen tote Fliegen im Schlafzimmer, fette schwarze oder grün schillernde Dinger. Ich habe den Eindruck, sie kommen extra zu uns ins Schlafzimmer, um hier den Löffel abzugeben, ins Gras zu beißen, wie auch immer. Ich habe mal gehört, dass es Elefantenfriedhöfe gibt, Orte, an die alte Elefanten zum Sterben gehen. Aber Fliegen?
    Nachdem ich die vielen kleinen Leichen weggesaugt habe, weiß ich nicht so recht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Natürlich gäbe es genug zu tun, aber mir fehlt die Lust, noch rund drei Stunden habe ich totzuschlagen, bis ich los muss. Okay, mach ich eben die Runde durchs Haus. Eigentlich wäre heute ja Paula dran … aber was soll's. So genau müssen wir das nicht nehmen. Ich werde ihr nachher 'nen Zettel hinlegen, damit wir die Runde nicht doppelt machen.
    Den Schlüsselbund finde ich im Badezimmer, auf dem kleinen Schränkchen unter dem Waschbecken, keine Ahnung, wie er da hin kommt. Ich schnappe mir noch einen Stift und einen der Protokollzettel, und schon bin ich aus der Tür heraus. Die Taschenlampe brauche ich um diese Zeit nicht. Sowieso will ich mir angewöhnen, meine Rundgänge immer bei Tageslicht zu machen. Spät abends und nachts

Weitere Kostenlose Bücher