Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
vergessen.
Als Paula zurückkommt, da nehme ich sie in den Arm und küsse sie auf den Mund. Sie hat viel größere Lippen als ich.
„Wofür war denn das gerade?”
„Einfach so. Mach dir bitte nicht so viele Sorgen um mich.”
„Hm … okay”, sagt sie und sieht dabei recht glücklich aus.
Paula fragt nicht nach und ich sage nichts mehr. Es ist mir peinlich, dass ich ihr hinterherspioniert habe. Wir essen unsere Bratkartoffel und versacken vor dem Fernseher, gegen neun fallen Paula die Augen zu. Ihr Kopf liegt an meiner Schulter und das fühlt sich ein bisschen unbequem an. Ich überlege gerade, ein Kissen zwischen meine Schulter und ihren Kopf zu schieben, als sie aufwacht, gähnt und etwas sagt. Die Worte kommen schleppend, schlafgetränkt.
„Da war heute Nachmittag ein komischer Anruf … wegen der Miete.”
„Was denn für ein Anruf?”, flüstere ich. Ich bin mir nicht sicher, ob sie ganz da ist.
„Die Sekretärin von diesem Egner. Die hat angerufen weil unsere Miete noch nicht da ist. Die wollen Geld von uns.”
Fast muss ich lachen über ihr „Die wollen Geld von uns”, das klang fast empört. Aber ich bin auch überrascht. Ich habe die Miete schon vor Tagen überwiesen. Vielleicht habe ich die Kontonummer falsch eingetippt, zwei Zahlen vertauscht oder eine vergessen, das passiert mir manchmal. Ich sage Paula, dass ich nachsehen werde, ob das Geld von meinem Konto abgebucht wurde.
„Das ist total lieb von dir”, antwortet sie. Wieder muss ich fast lachen, sie ist wirklich nicht ganz da. Weiß sie überhaupt, was ich gerade zu ihr gesagt habe?
„Weißt du was komisch ist?”, flüstert Paula. Nein, das weiß ich nicht. Sie gähnt ausgiebig und ich spüre die Bewegung ihres Kiefers an meiner Schulter. Als Paula nicht weiter spricht, da frage ich sie, was denn komisch ist. Nach einem weiteren Gähner antwortet sie mir.
„Die Sekretärin meinte, das Geld von Herrn Strauss ist aber eingegangen.”
„Wie von Herrn Strauss … was denn für Geld?”
Wieder braucht sie einige Sekunden.
„Keine Ahnung … das Geld von uns ist nicht eingegangen, aber das Geld von Herrn Strauss schon … so hat die das eben gesagt … keine Ahnung.”
Dann Schweigen. Paula ist am Einschlafen, mit dem Kopf macht sie eine Bewegung als wolle sie sich in meine Schulter eingraben.
„Paula, wach mal bitte auf. Was genau hat die Frau gesagt?”
Keine Reaktion. Ich halte ihr die Nase zu.
„Scheiße, was soll das? Wieso lässt du mich nicht schlafen?”
„Ich lass dich gleich schlafen. Aber sag' mir erst, was diese Sekretärin von dem Egner gesagt hat.”
„Nur dass unser Geld nicht eingegangen ist aber das Geld von Herrn Strauss. Ich hab da nicht nachgefragt … ich weiß auch nicht, was die gemeint hat.”
Paula schläft ein und ich verheddere mich in meinen Gedanken. Was für ein Herr Strauss denn? Was hat der mit unserer Miete zu tun. Okay, der Name Strauss ist nicht selten, einer dieser Allerweltsnamen … aber natürlich denke ich an einen bestimmten Herrn Strauss … an den Mann, mit dem ich heute Vormittag telefoniert habe und bei dem ich morgen einen Termin habe, an den Mann mit den vielen Doktortiteln, der mich so oft gefragt hat, wie es mir geht. Was verdammt ist hier los?
Kurz vor dem Einschlafen kommt ganz plötzlich die Wut wieder. Sie klopft nicht an, sie fragt auch nicht, ob sie reinkommen darf, sie tritt die Tür ein, macht sich breit und lässt mich innerlich zittern. „Wie gehe ich mit den Wahnvorstellungen meines Partners um?” Wenn sie mich schon für verrückt hält, dann sollte Paula es doch zumindest ein bisschen genauer nehmen. Ich habe verdammt noch mal keine Wahnvorstellungen, ich habe allerhöchstens Halluzinationen. Und auch die habe ich nicht. Ach Scheiße, wäre ihr doch bei ihrem Rundgang durch dieses beschissene Haus das große schwarze Tier begegnet!
Irgendwann schlafe ich ein und träume etwas mit Pferden. Sie laufen keine Rennen, sie unterhalten sich nur.
Bei Strauss
Fünf nach acht bin ich aus dem fast leeren Haus. Immer, wenn ich mit meinem Fahrrad an der Seite des achteckigen Gebäudes entlang fahre, dann hoffe ich, die Typen zu sehen, die sich unten in der Küche eingenistet haben. Aber auch diesmal: Niemand.
Vierzehn nach acht sitze ich in der Straßenbahn, kaue auf einem chemisch schmeckenden Zahnpflege-Kaugummi herum und denke über das nach, was Paula mir gestern im Halbschlaf erzählt hat. Herr Strauss, Herr Strauss, Herr Strauss … unser Geld ist
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