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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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haben?”, fragt mich Strauss.
    „Nein, hab ich nicht. Nur mit meiner Freundin eben.“
    „Das ist wahrscheinlich ganz gut so. Haben Sie heute Nachmittag Zeit? Könnten Sie zu mir kommen?”
    Die Frage überrascht mich. Und nein, eigentlich habe ich keine Zeit. Ich frage Strauss, ob es auch morgen gehen würde.
    „Ja natürlich, wann immer Sie möchten. Zu welcher Uhrzeit könnten Sie denn vorbeikommen Frau Pander? Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie abhole?”
    Ich fühle mich gleichzeitig geschmeichelt und verwirrt. Was soll das? Gleich bietet er mir noch an, 'ne Limousine zu schicken. Was zum Teufel soll das?
    „Äh … nein, ich kann schon zu Ihnen kommen. Hätten Sie vielleicht morgen um neun Zeit?
    „Ja natürlich, kommen Sie einfach bei mir vorbei. Sie wissen ja noch, wo mein Büro ist.”
    „Ja … natürlich.”
    „Dann bis morgen Frau Pander. Ich freue mich auf ihren Besuch.”
    „Ja … äh, danke. Dann bis morgen. Ich freue mich auch.”
    Ich lege das Telefon weg und weiß nicht, was ich von diesem mehr als seltsamen Gespräch halten soll. Etwas ist faul an der Sache … ich weiß bloß nicht, wo sie sich genau befindet, die faulige Stelle. Einige Minuten sitze ich nur da und starre auf einen Punkt irgendwo in diesem großen, hellen, allerdings auch ein wenig schäbigen Zimmer. Eigentlich starre ich eher in mich hinein, starre in meine eigene Tiefe und finde nichts … nichts, woran ich mich festhalten könnte. Zu viele Merkwürdigkeiten haben mich in den letzten Wochen heimgesucht. So fühlt es sich also an, wenn man beginnt, die Welt nicht mehr zu verstehen. Man bekommt Angst … und ein bisschen kitzelt es auch.
     

Und dann wird alles noch viel merkwürdiger. Etwa eine Stunde nach meinem Gespräch mit Herrn Strauss fahre ich mit der Straßenbahn zur Uni. Meine blöde, eigensinnige Phantasie ist mit dabei, groß und fett und aufdringlich. Sie wittert Morgenluft, sie quetscht sich in die Risse, die mein Realitätssinn bekommen hat, sie ist dabei, meinen Verstand zu sprengen, diesen soliden, grauen Block, der stets in meiner Mitte saß und auf den ich mich doch immer stützen konnte. Und dann, wenn meine Phantasie … oder mein Wahnsinn? … wenn Was-auch-immer meinen Verstand gesprengt hat (wird es ganz furchtbar knallen? Wird der große Block einfach leise auseinander bröckeln?), dann wird dieses Was-auch-immer die vielen Stücke aufsammeln und daraus etwas bauen, von dem ich nicht weiß, wie grotesk, hässlich und beängstigend es sein wird.
    Ich sitze ganz hinten im Hörsaal, vorne spaziert erklärend der Professor und ich denke an meine nächtliche Begegnung. Ich denke sie immer wieder durch, denke sie von vorne nach hinten, von hinten nach vorne, drehe sie vor meinem inneren Auge wie ein kompliziertes, hundertfach verwinkeltes Kunstwerk. Und dann sehe ich die ganzen Studenten vor mir, all die jungen und nicht mehr ganz so jungen Leute mit ihren zu Frisuren geschnittenen Haaren, ihren Jacken und Taschen und glänzenden Telefonen … und ihren Gesprächen und … dann, ganz plötzlich, da denke ich, dass sich all diese Menschen doch auf einmal in schwarze, von Kopf bis Fuß behaarte Tiere verwandeln könnten. Was spräche denn jetzt noch dagegen? Eines dieser Tiere habe ich doch schon gesehen! Ganz deutlich! Plötzlich wäre ich alleine mit einer Horde schwarzer, ekelhafter Tiere. Und dann … was wäre dann? Müsste ich mir dann eingestehen, dass mein Verstand sich nun völlig meiner durchgedrehten Phantasie ergeben hat? Oder würde ich erkennen, dass ich einem Aspekt dieser Welt begegnet bin, der neu für mich ist. Wieso gehe ich eigentlich davon aus, dass nach meinem nächsten Blinzeln, diesem winzigen Moment des Weltverlustes, die Welt, die mich jetzt umgibt, noch dieselbe ist? Vielleicht muss ich nur blinzeln und schon haben sich alle Menschen in Tiere mit schwarzem, strähnigem Fell verwandelt. Vielleicht reicht dieser Bruchteil einer Sekunde. Und dann? Nun ja, dann werden sie mich packen und fressen. So läuft das nun einmal, wieso sollte es auch anders laufen?
    Oh Gott, was für eine blöde, verfickte Scheiße! Jetzt reiß dich zusammen Lena! Hör gefälligst auf damit. Du studierst Medizin, du wirst Ärztin, du wirst Leute behandeln und gesund machen … und du wirst auf welche Art auch immer das schwarze Tier loswerden. Da war nichts! Da ist nichts! Da ist ist ist und ist nichts. Und doch war es da … ganz deutlich. Und dann war da noch die Sache mit dem Kleid und ….

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