Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
erst um die sechzehn.
„Wohnst du hier?”
Sie antwortet nicht. War ja auch 'ne blöde Frage. Okay, rede halt ich.
„Ich bin Lena … ich soll hier auf das Haus aufpassen. Ähm … und ich wollte nur sagen, dass es für mich völlig okay ist, wenn du hier unten wohnst … also so lange du nicht irgendwas kaputt machst. Ich war vor ein paar Tagen bei euch drinnen und hab' die Schlafsäcke gesehen.”
„Und was jetzt?”, fragt das Mädchen.
„Wer lebt noch hier unten … also außer dir?”
„Niemand.”
„Und wieso liegen dann zwei Schlafsäcke hier 'rum?”
Sie schaut mich misstrauisch an, scheint zu überlegen.
„In den einen schlüpf' ich rein und den anderen leg' ich unter, das ist bequemer, das ist dann nicht so kalt von unten.”
Sie erzählt Blödsinn.
„Ich hab' aber Männerklamotten gesehen, als ich hier drin war. In der Spüle lagen Männerklamotten.”
Wieder dieser bockige, misstrauische Gesichtsausdruck. So perfekt kriegen den nur Jugendliche hin. Keine Antwort, also wieder ich.
„Okay, is' ja auch egal. Ich wollte nur sagen, dass ihr von mir aus hier wohnen könnt, solange ihr nicht in den Rest vom Haus einsteigt oder was kaputt macht. Tschüss!”
Als ich gerade über die bröckelige Mauer steigen will, da ruft sie mir hinterher.
„Hey! Rauchst du eine mit?”
Ich gehe zurück.
„Nee, ich rauch' nicht. Kann ich trotzdem reinkommen?”
Drei Sekunden schaut sie mich nur an.
„Okay.”
Ich steige durch das geöffnete Fenster in die Küche. In der Spüle liegt Kleidung und es riecht intensiv nach Waschmittel.
***
Sie behauptet, dass sie 19 ist und Kerstin heißt. Okay, dass sie Kerstin heißt, das könnte stimmen. Zwar sieht sie nicht so aus, wie ich mir eine Kerstin vorstelle … aber egal. Das mit den 19 nehme ich ihr nicht ab, so sieht sie einfach nicht aus. Als ich sie frage, ob sie von zu Hause abgehauen ist, da grinst sie mich an und wiederholt, dass sie 19 sei und jederzeit gehen könne, wohin auch immer sie wolle. Ich lasse es gut sein, frage nicht weiter nach.
Einige Minuten sitzen wir nur da, sie raucht ihre Zigarette und bläst den Qualm Richtung Fenster. Ich schaue mich in der Küche um, hier ist nichts, das Feuer fangen könnte, soll sie also rauchen.
„Das ist übrigens 'ne sehr clevere Konstruktion, also das mit dem Expanderseil am Fenster.”
Sie lächelt mich an.
„Danke. Hat mein Freund gebaut.”
„Dann wohnt er mit dir hier unten?”
„Ja.”
„Und wo ist er jetzt?”
„Arbeiten.”
Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche. Es ist kurz nach halb neun und ich muss bald weiter, sonst macht Paula sich Sorgen.
„Wo arbeitet dein Freund?”
„Bei 'ner großen Kanzlei, der ist Rechtsanwalt, Fachgebiet Steuerrecht.”
Sie zieht an ihrer Zigarette und sieht dabei völlig ernst aus. Sie macht das wirklich gut.
„Ist das nicht langweilig, den ganzen Tag Steuerrecht?”
Sie schaut mich an. Überlegt sie gerade, ob ich ihr tatsächlich geglaubt habe? Hält sie mich für so bescheuert?
„Geht so … was machst du eigentlich, also außer Häuser bewachen?”
„Ich bin Walfängerin“, antworte ich, „ ... allerdings nur halbtags. Vormittags bin ich auf See, nachmittags bewache ich Häuser.”
„Aha.”
„Nicht lustig?”
„Geht so. Danke übrigens, dass du uns nicht verpfiffen hast. Wann hast du gemerkt, dass wir hier sind?”
„Gleich nachdem ich hier eingezogen bin. Ist schon ein paar Tage her.”
Sie zieht an ihrer Zigarette und es sieht aus als rauche sie noch nicht sehr lange. Es ist die Art, wie sie das Ding hält, irgendwie unbeholfen. Ich überlege, was ich das Mädchen fragen will, aber mein Überlegen wird durch Schritte unterbrochen. Sie kommen von draußen. Kerstin – wenn sie denn so heißt – legt ihre Zigarette auf den Rand eines der Metallregale, steht langsam auf und läuft zum Fenster, hinter dem gerade ein kantiges Gesicht erschienen ist. Als mich der junge Mann sieht, zuckt er zurück … dann steigt er doch ein.
„Hallo.” Er streckt mir die Hand hin.
„Hallo, ich bin Lena. Ich pass' hier auf das Haus auf.”
Als ich seine Hand nehme, da merke ich, wie dürr er ist, deutlich treten auf seinem Unterarm die Adern hervor, sie sehen aus wie aufgelegt, wie ein Überzug. Manchmal sind Orangen oder Grapefruits in so ein Geflecht eingewickelt, das sie vor Beschädigungen schützen soll – daran muss ich denken, als ich diese Adern sehe.
„Hallo Lena, freut mich.”
Der Mann ist älter als das
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