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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Mädchen, vielleicht zehn Jahre … und er sieht deutlich kaputter aus, ausgemergelt, verbraucht. Gerade eben, als ich ihm gesagt habe, dass ich auf das Haus aufpasse, da hat er der Kleinen so einen Blick zugeworfen … wie ein Tier, das Gefahr wittert. Aber er hat nette, ein wenig traurige Augen, keine Augen, vor denen man Angst hat.
    „Sie will uns nicht rausschmeißen”, sagt das Mädchen zu dem dünnen Mann. „Setz dich hin.”
    Er setzt sich und nimmt sich noch im Hinsetzen die Zigarette, die das Mädchen auf dem Regalbrett vergessen hat. Dafür kriegt er einen Schlag auf den Oberarm.
    „He! Das ist meine!”
    Er beachtet sie nicht, steckt sich die Zigarette in den Mund.
    „Wie lange seid ihr schon hier?”, frage ich den Mann.
    Vielleicht ist er ja gesprächiger als seine Freundin.
    „Fast zwei Monate.”
    „Und du bist die Erste, die was merkt”, ergänzt das Mädchen. Einige Sekunden schweigen wir uns an, dann stelle ich die Frage, die ich gerade eben schon stellen wollte.
    „Habt ihr mal etwas Komisches bemerkt, also hier im Haus?”
    Der Mann hebt den Kopf.
    „Was meinst du?”
    „Na irgendwas Komisches … also dass ihr zum Beispiel was gesehen habt … etwas, das nicht sein kann zum Beispiel”
    Die beiden schauen sich an. Halten sie mich jetzt für bekloppt? Es dauert etwa ein halbe Minute, bis der Mann etwas sagt.
    „Wenn du was sehen willst, was nicht sein kann, dann musst du nach oben in den vierten Stock. Da hast du vielleicht Glück.”
    Er drückt die Zigarette auf dem Fliesenboden aus und kassiert dafür einen bösen Blick von dem Mädchen. Er hebt den Stummel auf, weiß nicht wohin damit und steckt ihn schließlich in die Hosentasche. Dann wischt er die Asche mit der flachen Hand unter eines der Regale.
    „Warst du mal da oben?”, frage ich ihn.
    „Nee, aber ich komm aus der Gegend hier. Ein Kumpel von mir hat mal da oben gewohnt, also mit seinen Eltern, als er noch klein war. Und der hat zweimal oder dreimal was gesehen … irgendwelche Leute, die dann verschwunden sind. Bei uns Kindern war das hier das Spukhaus … so haben wir das eben gesagt damals.”
    „Was hat der gesehen, dein Kumpel?”
    Ich versuche, ganz gelassen zu klingen, aber sicher bemerkt er meine Aufregung. Ich konnte mich nie gut verstellen … nur meine Freundin anlügen, das kann ich.
    „Der hat immer ein anderes Kind gesehen … also ein Kind in seinem Alter, ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid und mit Verbänden ums Gesicht. Die ist nachts in sein Zimmer gekommen, einfach durch die Wand durch. Und wenn er das Licht angemacht hat, dann war die – pff – weg.”
    „Wie hat die genau ausgesehen?”
    „Also der hat immer nur gesagt, dass die ein weißes Kleid hatte und große Verbände am Gesicht … oder am Kopf. Das war es schon … das ist ja mittlerweile zwanzig Jahre her.”
    „Und hat dieses Mädchen irgendwas gesagt?”
    Der dünne Mann schaut mich mit gesenktem Kopf an. Wird er misstrauisch? Fühlt er sich ausgefragt?
    „Nein, hat sie nicht. Wieso interessiert dich das? Hast du was gesehen?”
    „Vielleicht”, sage ich und frage mich im selben Moment, wieso ich dem Typen keine klare Antwort geben will. Er sieht eigentlich ganz nett aus … nur eben heruntergekommen.
    „Also ja?”, fragt er.
    „Ja.”, antworte ich.
    „Kleines Mädchen mit Verbänden?”
    „Nein, was anderes. In welcher Wohnung hat dein Schulfreund gewohnt?”
    „Weiß ich nicht mehr. Aber wenn wir nach oben gehen, dann kann ich dir die Wohnung zeigen.”
    Er lächelt mich an. Er weiß, dass ich nicht einfach mit ihm nach oben gehen werde, dass ich ihn nicht einfach ins Haus lassen kann.
    „Wie lange lebt ihr schon hier unten?”
    „Seit fast zwei Monaten”, sagt das Mädchen. „Stört ja keinen, steht ja alles leer. Versprichst du uns, dass du nicht die Polizei rufst?”
    „Ja”, sage ich. „Solange ihr hier nichts kaputt macht, könnt ihr von mir aus noch zehn Jahre hier unten wohnen.”
    Das Mädchen grinst den dünnen Mann an.
    „In zehn Jahren haben wir 'ne Hütte in Kanada, irgendwo im Wald.”
    Ihr Typ schaut nach unten und sagt nichts.
    „Wir wollen auswandern.”
    Sie sagt es ganz stolz und reckt das Kinn dabei. Der Mann sagt immer noch nichts, schaut nur nach unten. Ich hoffe inständig, dass ihr Wunsch in Erfüllung gehen wird, dass sie in zehn Jahren tatsächlich in Kanada leben wird … und nicht auf den Straßen irgendeiner deutschen Großstadt oder in einer beschissenen Sozialwohnung.
    „Ist

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