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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Beileid” sagen, oder „Oh, das tut mir aber leid”? Beinahe hätte ich ihm zum Abschied „Gute Besserung“ gewünscht, so verdutzt war ich. Manchmal bin ich echt ein Idiot! Schon sehe ich vor meinem inneren Auge mich selbst, wie ich dem todkranken Strauss auf die Schulter klopfe, ihm zuzwinkere und „Das wird schon wieder” sage. Oh Scheiße, wie soll das erst werden, wenn ich selbst Patienten behandele? Werde ich Sachen sagen wie: „Sie haben noch drei Wochen zu leben, Sie müssen sich also keine Gedanken mehr um Ihre Altersvorsorge machen. Freut Sie das denn nicht?”. Oder: „Ihr Kind ist während der Operation verstorben, aber Sie haben ja noch eins”. Oder: „Wir müssen ihnen beide Beine abnehmen … aber keine Sorge, die wachsen bestimmt nach.” Werde ich solchen Mist von mir geben?
    Ich verlasse die Klinik, laufe Richtung Straßenbahn und kaufe mir unterwegs ein hübsch belegtes Brötchen. Kurz vor der Haltestelle drehe ich ab, gehe etwa hundert Meter zu einem kleinen, von Einbahnstraßen umzingelten Spielplatz und setze mich auf eine der Metallbänke. Sieben Schritte vor mir spielen zwei Kinder im Sand, die Mutter tippt währenddessen auf ihrem Smartphone herum. Ab und an schaut sie vom Display auf und ruft ihren Kindern etwas zu, ihre Sprache kenne ich nicht.
    Gerne würde ich darüber nachdenken, was ich jetzt tun soll. Aber das ist Blödsinn … es ist klar, was ich tun werde. Ich habe die 1500 Euro angenommen, ich fühle mich verpflichtet ... einem sterbendem Mann verpflichtet. Ich werde zurückgehen, zurück in dieses fast leere, achteckige Haus, zurück zu dem, was auch immer darin ist und wahrscheinlich nur darauf wartet, dass ich wiederkomme. Es wird etwas passieren, da bin ich mir ganz sicher. Und dann, wenn es passiert ist, werde ich Strauss alles berichten.
    Plötzlich ein Gedanke, einer an dem ich mich halten kann: Einer Frau ist in diesem Haus nie etwas passiert … einer Frau ist nie etwas passiert … nur den Männern, nur die Männer wollen sich umbringen. Aber kann ich mir da sicher sein? Hastig ziehe ich mein Handy aus der Tasche und rufe Paula an.
    „Hallo Schatz, ich bin es. Bist du schon zu Hause?”
    Sie wirkt erstaunt, ihre Worte kommen zögerlich.
    „Nein … äh, natürlich nicht. Das weißt du doch. Was gibt es denn?”
    „Ach, eigentlich nichts. Ich wollte nur deine Stimme hören und wissen, ob es dir gut geht.”
    „Ja, mir geht’s gut. Alles okay bei mir. Warst du bei diesem Psychiater?”
    „Ja, war ich.”
    Sie wartet, dass ich weiter rede. Aber ich kann ihr doch nicht einfach erzählen, dass Strauss mir 1500 Euro dafür gegeben hat, dass ich mich und sie in Gefahr bringe. Obwohl ... nur Männer, nur Männer haben sich ...
    „Ja und? Was hat der gesagt?”
    „Das erzähl ich dir nachher. Das ist alles ein bisschen kompliziert.”
    „Hm … okay. Wirklich alles in Ordnung bei dir?”
    „Ja, alles in Ordnung. Lass uns da nachher drüber reden.”
    „Okay, ich hab dich lieb.”
    „Ja, ich dich auch. Bis später.”
    „Bis später, Süße.”
    Zehn Minuten nach meinem Anruf bei Paula habe ich die ersten neunzig Euro meines ersten Gehalts ausgegeben. Ich stehe in einer kleinen Boutique, in der Paula vor einigen Tagen etwas entdeckt hatte, es dann aber als zu teuer befand. Als mir die Verkäuferin das Teil in die große Papiertüte schiebt, da realisiere ich, dass dieser Kauf nichts weiter als ein Ausdruck meines schlechten Gewissens ist, meines schlechten Gewissens gegenüber Paula. Ich habe nicht das Recht, sie in solch eine Situation zu bringen. Was, wenn von diesem Haus, von diesem Stockwerk, tatsächlich eine reale Gefahr ausgeht? Ich packe die große Tüte und stürme aus dem Laden. Ich will vor ihr zu Hause sein. Ich komme mir so verdammt schäbig vor … und zugleich spüre ich so etwas wie Vorfreude. Alles geht durcheinander, langsam gewöhne ich mich daran.
     
    ***
     
    Ich habe einfach gelogen, ich war selbst erstaunt darüber, wie leicht es mir fiel. Bin ich die geborene Lügnerin und wusste es nur nicht?
    Ich habe Paula erzählt, dass meine Alpträume und Angstzustände nach Meinung von Dr. Strauss mit meinem Erlebnis im Schlaflabor zusammenhängen. Ich habe ihr gesagt, dass Strauss mir angeboten hat, mehrere therapeutische Sitzungen mit ihm zu machen … so kann ich rechtfertigen, dass ich ihn in den nächsten Wochen regelmäßig aufsuchen werde, um mit ihm über das Herbsthaus zu sprechen.
    Als Paula mich in den Arm nimmt und mich auf die

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