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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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ist nie einer Frau etwas dort passiert. Hat Ihre Freundin dieses schwarze Tier gesehen? Oder hatte sie Alpträume?”
    „Nein … so weit ich weiß nicht.”
    Strauss lehnt sich im Stuhl zurück und greift in seine Hosentasche. Er zieht ein verbeultes, speckig glänzendes Lederportemonnaie heraus.
    „Wie ich schon sagte: Ich möchte Sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigen … und ich weiß, dass man als Student manchmal in finanzieller Bedrängnis ist.”
    Mit diesen Worten zieht er mehrere große Scheine aus der Brieftasche. So viel Geld habe ich lange nicht gesehen.
    „Das ist Ihr erstes Gehalt, bitte nehmen Sie das Geld.”
    Ohne es wirklich zu wollen, greife ich nach den Scheinen, zehn Hunderter und ein Fünfhunderter. Sie fühlen sich neu an, dick und stabil, sie sehen auch neu aus. Bin ich gerade zum zweiten Mal in die Falle des kleinen alten Mannes getappt? Und sollte ich mir nicht zumindest ein bisschen schäbig vorkommen?
    Noch über eine Stunde unterhalten wir uns, tief unten in dem kleinen, muffigen Fernsehzimmer. Strauss zeigt mir eine Bleistiftzeichnung, die Georg Schlechter in einer seiner therapeutischen Sitzungen anfertigte: Ein Flur und darin das Wesen, das auch ich sah, groß und dunkel und ganz am Ende des Korridors. Er bezeichnete es als Affen … und ja, vielleicht ist dieses Ding tatsächlich eine Art Affe. So genau konnte ich das nicht erkennen. Und dann sind da noch die beiden anderen Erscheinungen: Die alte Frau, die sich über das Bett des schreienden Kindes beugte, und das, was Schlechter als „meine Geliebte” bezeichnete. Oder ist diese Geliebte die alte Frau? Mit was haben wir es zu tun? Mit einem Wesen, das in verschiedenen Formen erscheint? Oder mit mehreren Wesen? Ich weiß es nicht, Schubert wusste es nicht und Strauss weiß es auch nicht. Kann man denn überhaupt von einem „Wesen” sprechen? Sollten wir (ich sage schon „wir”, ich betrachte uns schon als Team) nicht besser beim Begriff „Phänomen” bleiben? Letztlich weiß ich doch nur, dass da etwas ist, das in verschiedenen Formen in Erscheinung tritt.
    Ach Scheiße, im Grunde weiß ich überhaupt nichts … nur, dass ich gerade 1500 Euro eingesteckt habe, dass ich mich von einem cleveren alten Kerl in etwas habe hineinziehen lassen, von dem ich nicht weiß, wie es ausgehen wird. Immer wieder versichert mir Strauss, dass für mich und Paula keine ernsthafte Gefahr besteht … aber woher will er das wissen?
    Als wir unser Gespräch beendet haben, als wir uns schon verabschiedet haben und ich schon aus dem kleinen Zimmer hinaus bin, da höre ich, wie Strauss etwas vor sich hin murmelt. Ich drehe mich zu ihm um und er lächelt mich an.
    „Entschuldigen Sie, ich habe gerade mit mir selbst gesprochen … eines der Vorrechte wunderlicher älterer Männer. Wissen Sie, es ist ja komisch … mein Freund Schubert wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und da fing er an, sich für das Übernatürliche zu interessieren. Und bei mir ist es jetzt genauso.”
    Ich verstehe nicht. Was meint er damit? Bevor ich ihn fragen kann, spricht Strauss weiter.
    „Schubert hatte Krebs, die dunkle Königin aller Krankheiten … nicht mehr behandelbar. Und jetzt bin ich dran … Bauchspeicheldrüse. Die Kollegen geben mir noch vier Monate. Ist es nicht merkwürdig?”

Feldforschung
     
    Ist es nicht merkwürdig? Strauss' Frage geht mir im Kopf herum. Ja, es ist merkwürdig, so vieles ist merkwürdig. Mit einem Lächeln im Gesicht hat mir der Mann von seinem Krebs erzählt. Ausgerechnet Bauchspeicheldrüse, man merkt erst nichts und wenn man dann etwas merkt, dann ist es meist schon zu spät. Was hatte Schubert noch mal? Blutkrebs? Lunge? Nein … die Leber. Auch nicht schön.
    Während ich durch die Klinikflure laufe, vorbei an Lungenpatienten, die zum Rauchen gehen, Besuchern mit dicken oder dünnen Blumensträußen, Schwestern, Pflegern und Ärzten, denke ich nach, denke ich durcheinander, denke ich mich um Kopf und Kragen. Nichts als großes Chaos in meinem kleinen Schädel.
    Nur ganz kurz bin ich beim Herbsthaus, bei dem, was darin vor sich geht … zurück bei meiner nächtlichen Begegnung, zurück in meinem Traum und bei der Sache mit dem Kleid. Schon bin ich wieder bei Strauss. Ich wusste vorhin überhaupt nicht, was ich sagen sollte, ich stand da wie der letzte Idiot. Was soll man einem Menschen auch sagen, der einem lächelnd erzählt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat? Soll man „Mein herzliches

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