Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
zittern.
Hinter dem großen Schrank scheint nichts mehr zu kommen, nur noch die Kellerwand. Ich schaue trotzdem nach, stolpere über einen kleinen aber erstaunlich stabilen Karton und schiebe mich in die Nische zwischen Schrank und Kellerwand. Was ist das denn? An einem rostigen Metallhaken, den irgendjemand vor vielen Jahren in die Wand getrieben hat, hängt ein großer, ausgebeulter Stoffsack mit einem Reißverschluss. Als ich gegen den Stoff drücke, da fühlt sich der Sack ganz weich an. Was ist da drin? Teure Pelzmäntel? Langsam ziehe ich den Reißverschluss auf, irgendwas drückt von innen gegen den Stoff. Ich bücke mich und ziehe den Reißverschluss ganz auf. Er hakt ein bisschen, mit einer Hand halte ich den Stoff straff, mit der anderen probiere ich am Reißverschluss herum. Okay, jetzt geht es, Stück für Stück, Zahn für Zahn.
Als ich nach oben sehe, da ist es über mir: das große schwarze Tier. Es war in dem Sack, es hat von innen gegen den Stoff gedrückt. Und jetzt kommt es mir entgegen, ganz langsam, grauenhaft langsam. Ich sehe seine Zähne und seine Augen und dann, bevor ich zurückweichen kann, ist es auf mir.
Jetzt geht alles automatisch, jetzt habe ich keine Kontrolle mehr. Ich brülle aus Leibeskräften, ich kämpfe mit dem Tier und schreie um Hilfe. Sein Gesicht ist auf meinem Gesicht, ich spüre das Fell. Irgendwie schaffe ich es, das Tier von mir zu stoßen, und während ich nach hinten weg krabble, hinein in die Lücke zwischen der Kommode und den Pappkartons, höre ich die Schritte. Ich schreie um Hilfe, schreie mit aller Kraft, die ich noch habe. Der Kopf des schwarzen Tieres – oh ja, es ist eine Art Affe, jetzt erkenne ich es auch, Schlechter hatte Recht – grinst mich aus einem halben Meter Entfernung an, er grinst … aber er bewegt sich nicht. Ist das Vieh tot? Stellt es sich tot? Jetzt bin ich fast beim Ausgang, es kommt mir nicht nach, es liegt einfach da und grinst und … da werde ich von hinten unter den Armen gepackt und nach oben gezogen. Ganz kurz nur wehre ich mich, dann lasse ich es geschehen.
„Scheiße, was ist denn mit dir los?“
Die Stimme des Typen, der das Schloss weggetreten hat.
„Ist was passiert? Ist alles okay?“
Nein, nichts ist okay. Aber ich stehe aufrecht, bin wieder auf den Beinen. Ich drücke Tobias zur Seite und mache, dass ich aus dem Abteil komme. Antworten kann ich ihm nicht, noch nicht. Da hinten ist das verdammte Vieh, hinter dem Schrank liegt es grinsend auf dem Boden, und gleich wird es aus der Lücke gekrochen kommen, zwischen den Pappkartons und der Kommode hindurch, Kopf und Augen und Zähne voraus. Hallo Lena, hast du mich vermisst? Wieso läufst du denn davon? Du kennst mich doch!
Ich muss hier weg, ich muss raus aus diesem beschissen kalten Keller. Ich muss ihnen sagen, dass wir hier weg müssen, ich-
„Jetzt beruhig' dich mal. Was ist denn da?“
Der Typ macht einen großen Fehler. Er geht nach hinten, hinein in das Abteil … direkt auf das schwarze Tier zu. Plötzlich der Schein der Taschenlampe, ich habe sie fallen lassen und er hat sie gefunden. Und dann, zähe Sekunden später, seine Stimme. Ganz eindeutig ist es seine Stimme:
„Boah, nicht schlecht. Kerstin! Komm mal her … schau dir das mal an.“
„Das Ding stinkt.“
Kerstin rümpft ihre kleine Nase und dreht den Kopf weg.
„Klar stinkt es“, antwortet ihr Typ. „Das lag ja auch Jahre da unten. Du würdest auch stinken, wenn du Jahre da unten liegst.“
Kerstin macht „mhm“ und dann sage ich etwas.
„Das war in so einem Wäschesack. Das lag nicht da rum, das hing an der Wand in einem Wäschesack … dort hab ich das gefunden.“
Wir sind im Erdgeschoss. Kerstin und Tobias haben einen kleinen Fernseher mit nach oben genommen, außerdem eine Kleiderstange mit Kleiderbügeln, ein paar Decken … und eben das hier. Tobias ist ganz begeistert, Kerstin weniger. Und ich habe keine Ahnung, was ich von dem Ding halten soll.
„Das ist total gut gearbeitet, das Gesicht ist irgendwie aus Leder oder so … das ist echt total gut gemacht.“
Tobias kniet über dem schwarzen Tier – oder was immer es auch ist – und zupft am Fell herum. Dann dreht er den Kopf des ekelhaften Dings zur Seite.
„Da ist sogar ein Ohr unter dem Fell, das ist echt gute Arbeit, ein richtiges Ohr aus Leder. Ich glaub, ich zieh das mal an.“
„Nein, bitte nicht“, antworte ich ihm. „Bitte nicht anziehen.“ Meine Stimme kommt leise und gepresst. Erstaunt schaut er mich an,
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