Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
einer Sicherheitsnadel oder so. Aber Tobi hat andere Methoden. Er tritt hart gegen das Schloss … einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Tritt bricht das Schloss samt Metallbeschlag von der Holztür, das verbogene Ding landet hell scheppernd auf dem fleckigen Betonboden. Dafür also sind die dunkelroten Springerstiefel gut, die er trägt. Ich hätte nicht gedacht, dass in diesem abgemagerten Körper so viel Kraft steckt.
„Ich geh dann mal wieder zu meiner Liebsten.“
„Okay, danke … habt ihr schon was gefunden?“
„Wir schauen noch.“
Er schlurft den Gang hinunter und ich stehe vor dem offenen Abteil, muss nur noch hineingehen. Ich wünschte, die beiden wären näher bei mir … aber sie wühlen irgendwo am anderen Ende des großen Kellers. Auf was hatten sie es noch abgesehen? Auf ein Radio?
Ich hebe die Taschenlampe vom Boden auf und schalte sie an. Die verstaubten Glühbirnen, die hier unten in viel zu großem Abstand von der Decke baumeln, geben kaum Licht. Ist es gerade dunkler geworden? Hat eine der Birnen gerade den Geist aufgegeben?
Okay Lena, jetzt steht nicht so blöd hier rum. Geh rein und schau dir den alten Kram an. Was haben wir hier Schönes? Links von mir steht ein Kleiderständer, an dem alte Klamotten hängen. Plötzlich wird mir bewusst, dass dieses gelbe Kleid, dieser Fetzen, der erst in meinem Traum und dann an Paula war, dass dieses Kleid von hier stammen muss, aus diesem Holzverschlag. Aber wie ist sie da dran gekommen, ohne das Vorhängeschloss zu knacken? Wie hat sie das gemacht? Ich mache einen Schritt auf den Kleiderständer zu und leuchte mit der Taschenlampe. Ja, da ist es. Gelb mit Rüschen, weißer Kragen mit blauen Knöpfen … eine höchst seltsame Kombination, ausgeschlossen, dass es in diesem Haus zwei von der Sorte gibt.
Plötzlich weiß ich, wie Paula es gemacht hat … es ist ganz banal. Der Kleiderständer steht dicht an den rohen Brettern, die das Abteil bilden … und zwischen den Brettern ist etwa zehn Zentimeter Platz, so dass man hindurch fassen und einen Fetzen Stoff herausziehen kann … man könnte sogar ein Kleid mitsamt Kleiderbügel durch den Spalt holen. Also alles ganz einfach, alles nachvollziehbar.
Okay, was ist noch hier? Ich drehe mich von den alten Kleidern weg (wieso sind die überhaupt noch hier? Wem haben die gehört?)und öffne einen der schwarzen Plastiksäcke … Bettzeug, schweißfleckige Decken und klumpige Kissen, nichts Interessantes. Im nächsten Sack ist diverser Kleinkram: Eine kleine Nachttischlampe, eine Tastatur, der mehrere Tasten fehlen, Küchenutensilien, eine zusammengerollte Fußmatte, die nach Schimmel stinkt … Ich schiebe einen Stuhl zur Seite und gehe etwas tiefer hinein in das Abteil. Es wird eng, von rechts bedrängen mich gestapelte und ineinander gesunkene Pappkartons, von links eine Kommode aus fast schwarzem Holz, auf der ein schmales Regal steht. Auf dem untersten Regalbrett ein altes Bügeleisen und eine Packung Staubsaugerbeutel, fehlt nur der Staubsauger. Darüber mehrere Brettspiele, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Und vom obersten Brett aus – kurz beschleunigt sich mein Herzschlag als ich sie sehe – starren mich fünf Puppen an. Alle tragen altmodische, blaue und rote (aber keine gelben) Rüschenkleider, einer fehlt der Arm. Einer anderen fehlt– sie ist die einzige, die nicht starrt – der Kopf. Da, wo er sein sollte, ist nur eine Öffnung, die ein bisschen aussieht wie eine Vagina … sogar die Farbe stimmt.
Ich lasse die Puppen hinter mir und hoffe, dass ihre Blicke mir nicht folgen, dass sie nicht ihre kleinen Plastikköpfe drehen. Einige Sekunden später habe ich mich bis zu dem großen Holzschrank durchgeschlängelt, den ich vorhin schon gesehen habe, das Ding sieht wirklich aus wie der, den mein Opa hatte … er riecht auch ein bisschen so. Wie haben sie dieses Ungetüm überhaupt hier hinein bekommen?
Okay, mal sehen ob der Schrank abgeschlossen ist. Ich ziehe an einem der Messinggriffe, die Dinger sehen aus wie runde Schildkrötenpanzer … oder wie platt gedrückte Fußbälle. Wieso geht die Tür nicht auf? Irgendwie ist dieser Schrank verzogen, irgendwie klemmt die Angelegenheit. Gut, noch einmal mit richtig Kraft. Ein Ruck, ein knarzendes Geräusch, und schon gähnt mich das dunkle Maul des tiefen Schranks an. Leer, nur auf dem Boden ein paar alte Decken und zusammengefaltete Bettlaken. Ein wenig enttäuscht schließe ich die Tür. Es ist kalt hier unten, meine Hände
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