Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)
das Räubersommerfest fände auf einem abgelegenen Campingplatz statt, wo sich kein Mensch aufhielt, aber ich hatte völlig unrecht. Der Festplatz war ein großer Sportpark hinter einem Einkaufszentrum. Am Tor hing ein Schild:
NETZWERK-MARKETING FINNLAND SOMMERTREFFEN
Der Text war von Hand auf ein weißes Betttuch gemalt. Niemand kontrollierte, wer hineinfuhr. Trotzdem hatte ich vor Spannung eine Gänsehaut.
» Sehr gut«, schmunzelte der Wilde Karlo. » Wenn ich hier wohnen würde und dieses Schild sähe, würde ich die Stadt sofort verlassen!«
Wir standen immer noch an der Einfahrt. Vor uns versuchte jemand, ein Wohnmobil durch das Tor zu bekommen, und Hilda ließ den Motor unseres Räuberbusses aufheulen, um beim Fahrer des Wagens vor uns Furcht zu erregen.
» Aber wir sind doch keine Netzwerkmarketing-Vertreter!«, rief Kalle, als wir mit dem Räuberbus durch das Tor fuhren.
» Nein, und auch keine Steuerberater«, sagte Hilda und kurvte mit großer Präzision umher, um den besten Stellplatz für den Räuberbus zu ergattern.
» Ja, das haben sie doch geändert, weil hier letztes Jahr alle möglichen Leute aufgetaucht sind und nach Haushaltshilfen-Freibeträgen fragen wollten und so ’n Zeug«, sagte Gold-Piet. Das Wort sprach er so sorgfältig aus, dass ich begriff, dass es eine ziemliche Anstrengung für ihn bedeutet hatte.
» Wenn hier jedes Jahr ein anderes Schild hängt, woher sollen wir dann wissen, ob das nicht wirklich Netzwerkmarketing-Vertreter sind?«, fragte Kalle.
» Guck doch mal hin, mein Schatz«, sagte Hilda liebevoll. » Sehen diese Typen wie Vertreter aus?«
Wir schauten durch die Seitentür hinaus. Auf dem enormen Sandplatz standen an die dreißig Lieferwagen und Wohnmobile. Um jeden Wagen wuselte eine Gruppe Räuber herum, sie stellten Gartenstühle auf, spannten Vorzelte auf, die wildesten hatten eine eigene Lärmschutzwand dabei, die sie um ihren Wagen herum zusammenhämmerten. Wer seinen Lagerplatz fertig hatte, warf sich in seinen Campingsessel, wo er nur noch vornübergebeugt dahockte, um die anderen anzustarren.
Es war die finsterste Ansammlung von Fahrzeugen, die ich je gesehen hatte. Ein Auto war mit züngelnden Flammen bemalt, an einem anderen lehnte eine Wartungsleiter, auf der genauso viele Leute herumkletterten wie unten das Lager aufschlugen. Auf dem Dach eines dritten Wagens war eine riesige Zange befestigt.
» Damit können die angeblich jeden Gitterzaun durchschneiden!«, sagte Kalle, der eine Zeit lang in der Nähe des Zangen-Wagens herumgelungert hatte, bis ein dicker Mann mit Glatze ihn wegscheuchte.
» Solche Idioten«, schnaubte Hele. » Im Busch im hintersten Savo ist wohl alles möglich. Die Zange ist völlig illegal. Die schreien doch geradezu nach der Polizei, wenn sie mit so einer Zange auf den großen Straßen unterwegs sind. Nein, Brüderlein, das läuft ganz anders: Ein ordentlicher Räuberwagen ist völlig unauffällig (sie zog an der Kette und ließ die Räuberflagge aus der Lüftungsklappe wehen), elegant (sie tätschelte das Blech) und beschleunigt schnell genug. Das ist alles, was man braucht. Alles andere ist nur mangelndes Selbstwertgefühl.«
Mochte Hele sagen, was sie wollte: Die Kette aus erhängten Barbiepuppen an den Seitenfenstern gab dem Bus ziemlich viel Glaubwürdigkeit.
» Aha, die Vollversammlung fängt schon heute Abend an«, sagte der Wilde Karlo, als er mit einem fettigen Blatt Papier in der Hand zum Bus zurückkam. In der anderen Hand hielt er eine Fleischpirogge, von der er zerstreut immer wieder abbiss, während er las, was auf dem Blatt geschrieben stand. Der für das Fest aufgesparte Troyer war schon nicht mehr in bestem Zustand.
» Furchtbar!«, murmelte er, ohne den Blick vom Blatt zu heben, und ließ sich dann krachend auf einen Stuhl fallen, der neben dem Bus stand. Der Stuhl schwankte bedrohlich, und es war ein reiner Glücksfall, dass er nicht zusammenbrach. » Haarsträubend! Den Pärnänens ist da was zu Kopf gestiegen, Hilda, hör mal zu. Sie haben die Hurmalas als Sachverständige eingeladen, ausgerechnet die verrückten Hurmalas! Opa Hurmala kann doch selbst im Laufschritt niemanden mehr einholen! Und der jüngste Sohn, na, der wird Ingenieur. Um Himmels willen«, sagte er und zog sich an den Zöpfen, »› Kniffe und neueste Methoden in der modernen Räuberei‹. Ist es so weit gekommen? Brauchen wir jetzt so etwas? Wer auf die Jahresversammlung geht, kennt ja wohl das ABC der Räuberei!«
» Wann ist denn Q
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