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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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konnte ein Stück Stoff sehen.
    Ein paar Fotos hatte ich mir mitgebracht und über den Schreibtisch gepinnt, aber es sah immer noch so unpersönlich und geradezu nackt hier aus. Voller Neid dachte ich an die tollen Collagen in Benjamins Zimmer. Um die großen Wandflächen mit Bildern zu füllen, hätte ich mein ganzes schönes Geld gleich wieder ausgeben müssen. Ein Sonnenstrahl schien auf meine Armbanduhr, reflektierte das Glas und hüpfte als heller Punkt an der Wand auf und ab. Und plötzlich wusste ich, was ich mit den Wänden anstellen könnte. Sie bemalen! Ich konnte ziemlich gut zeichnen, das war nicht das Problem. Am liebstenPorträts mit Zeichenkohle oder Bleistift. Die besten davon waren in meinem kostbaren Skizzenbuch, das ich schon seit einem Jahr überall mit hinschleppte. Mir musste nur noch etwas Passendes einfallen. Claire hatte schließlich gesagt, dass ich mit dem Zimmer tun und lassen könnte, was ich wollte.
    Aber vielleicht sollte ich Julius vorsichtshalber noch mal fragen.
    In der Eingangshalle fiel mir ein, dass ich gar nicht wusste, hinter welcher Tür er wohnte. Das Zimmer, das auf die Straße hinausführte, war das von Claire. Sie übte gerade ein kompliziert klingendes Stück, brach immer wieder ab und fing erneut an. Benjamin war gestern früh in dem Zimmer neben dem Bad verschwunden. Also blieben nur noch zwei übrig. Das Zimmer direkt neben mir und das neben Claire. Zögernd klopfte ich zuerst nebenan.
    Niemand antwortete. Ich stand eine Weile herum und hoffte, dass irgendwo jemand herauskommen würde. Als nichts geschah, versuchte ich es bei der anderen Tür.
    »Ja«, brummte es. Ich trat ein.
    Zuerst sah ich nur ein gigantisches Bild. Schwarze und rote Farbe bildeten einen Klumpen, eine Art umgekippten Käfer, aus dem menschliche Beine und Arme herausragten. Die Beine und Arme waren aus Fotos ausgeschnitten. Versuchte sich Julius auch an Collagen? Ich kniff die Augen zusammen. Die von Benjamin gefiel mir bedeutend besser. Julius' Zimmerwar noch größer als meins, aber spärlich möbliert. Den meisten Platz nahm ein enormer Flachbildschirm ein, auf dem gerade ein Cartoon tobte – quiekende Ratten in Badehosen jagten durch eine psychedelisch grelle Welt.
    Auf dem Boden befand sich ein Futon, darauf lag ein Junge, neben sich eine tiefe Schale. Julius.
    »Ach, du hast mich gehört«, sagte ich überflüssigerweise.
    »Was gibt's?« Er sah nicht mal auf.
    »Ich wollte nur fragen, ob es okay ist, wenn ich die Wand in meinem Zimmer anmale.«
    »Ja.« Er legte was in die Schale.
    »Ich meine so ein richtiges Wandbild, bis zur Decke hoch.« Offensichtlich hatte er mich nicht richtig verstanden.
    »Klar.«
    Er benahm sich, als kostete ihn jedes Wort einen Euro, obwohl Geld, wie mir ein rascher Blick durch das Zimmer zeigte, für ihn garantiert keine Rolle spielte. Er schien so ziemlich alle technischen Neuheiten zu besitzen, die meinem Vater bei jedem Besuch im Elektromarkt Tränen der Sehnsucht in die Augen trieben.
    »Na, dann ist es ja gut.« Ich gab mir einen Ruck. »Ach, und da waren solche Blumen in meinem Zimmer.« Er antwortete nicht. Ich fuhr fort. »Also – danke, falls du das warst, aber eigentlich ist es mir lieber, wenn die Leute nicht in mein Zimmer gehen, ohnemich zu fragen.« Wieder keine Reaktion. War der taub? Ich stand verlegen herum und schielte erneut auf das seltsame Bild. Julius setzte sich plötzlich auf und gab dabei die Sicht auf die Schale frei. Es dauerte einen Moment, ehe ich kapierte, was er da drin hatte. Verschrumpelte braune Apfelgriebse. Mindestens ein Pfund. Der Typ sammelte seine abgenagten Äpfel!
    Er schien mein Befremden nicht zu bemerken, zappte nur die Ratten zugunsten eines Schwarz-Weiß-Films weg. Eine Frau stand jetzt hinter einem altmodischen Duschvorhang, während davor jemand mit einem Messer fuchtelte.
    »Geil«, sagte Julius.
    Ich wandte mich ab. Wir hatten uns offensichtlich nichts zu sagen. Ich war bereits an der Tür, als er mich noch mal ansprach.
    »Wie ist es in deiner Kanzlei?«
    »Toll, es ist richtig gut«, sprudelte ich heraus, froh darüber, dass er doch ein bisschen Interesse zeigte. »Die Leute sind total nett und helfen ihren Klienten, ich denke fast darüber nach, auch mal Anwältin zu werden und ...«
    »Woran erkennt man, dass ein Anwalt lügt?« Er sah mich herausfordernd an.
    »Was?«, stotterte ich, aus dem Konzept gebracht.
    »Er bewegt die Lippen.«
    Ich lachte künstlich über diesen lahmen Witz, aber Julius lachte nicht

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