Villa des Schweigens
mit. Mir fiel auf, dass er sichoffenbar einen Ziegenbart wachsen ließ. Fehlten nur noch die Hörner.
Er stöpselte seine Kopfhörer wieder in die Ohren und hob ein Buch vom Fußboden auf. Das Gespräch war beendet.
Warum sagte er so was?
So langsam dämmerte mir, was Claire mit ihrer Bemerkung über Julius gemeint hatte.
Im Tierreich ist alles so einfach.
Ich beobachte, wie ein Löwe im Fernsehen den alten Revierbesitzer im Kampf besiegt, um ein neues Rudel zu erobern. Aber damit nicht genug. Er tötet dem Vorgänger auch noch den Nachwuchs, um alles zu vernichten, was nach ihm riecht. Ich beuge mich atemlos nach vorn. Keine halben Sachen, das imponiert mir. Und mir kommt eine Idee.
Jetzt werden auch die anderen aufmerksam. Das Mädchen schlägt wimmernd die Hände vors Gesicht, als der Löwe seine Zähne in das fremde Jungtier gräbt. Die anderen stimmen entsetzt mit ein. Sie finden das grausam. Ich hingegen finde, das man von Tieren was lernen kann.
Aber ich kann mich gut verstellen.
7. Kapitel
Claire hatte angeklopft und gefragt, ob es mich stören würde, wenn sie noch ein bisschen weiterübte, hatte dann ein Buch bei mir entdeckt, das ihr gefiel, und war schließlich in meinem Zimmer hängen geblieben. Seitdem erzählte sie mir alles Mögliche von ihrem Studium.
»Mit dir kann man wenigstens reden«, sagte sie gerade. »Die Jungs sind immer so maulfaul, morgens spricht man sie am besten nicht an und Klatsch wollen sie schon gar nicht hören. Bin froh, dass mal ein Mädchen hier wohnt.«
»Warum ist Lauren eigentlich noch nicht eingezogen?«, fragte ich. Es war die erste Frage, die ich loswerden konnte. Mit mir ließ sich offenbar gut reden, weil ich selbst nicht dazu kam.
»Weil ihre Mama es nicht erlaubt.« Claire grinste mich an. »Sie ist immerhin erst siebzehn und geht noch zur Schule.«
Ich doch auch , wollte ich sagen, ließ es aber bleiben.
»Na, jedenfalls muss die nette Lauren noch ein Jahr warten, bis sie mit ihrem Liebling zusammenziehen darf. Und wer weiß, was dann ist. Dann hat er vielleicht längst schon eine Neue.« Sie winkte ab.
»Meinst du?«, fragte ich überrascht.
Claire zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, wer weiß. Die Wege der Liebe ...« Sie wackelte mit dem Kopf wie eine weise Frau.
Ich prustete los. Claire sah auf ihre Uhr.
»Ich habe jetzt doch keine Lust mehr zum Üben. Komm doch mit rüber zu mir, da können wir noch ein bisschen quatschen. Bei dir ist es so ...«
Sie sah sich leicht betreten um.
»... leer?«, sprang ich ein. Sie nickte, offenbar erleichtert, dass ich nicht beleidigt war.
Claires Zimmer gefiel mir auf Anhieb. Der imposante Flügel stand in der Mitte, sie hatte einen Haufen Bücher und auf dem Fußboden stapelten sich Noten. Sie hatte sogar eine Couch und einen Fernseher, aber seltsamerweise wirkte es gar nicht spießig, sondern gemütlich.
»Willst du?« Sie hielt mir eine Tafel Schokolade hin. Und ob ich wollte.
»Wenn ich Frust habe, muss ich immer futtern«, sagte sie.
»Frust?« Sie sah gar nicht so aus, als ob sie jemals Schokolade aß. So schlank und irgendwie sehnig.
Sie hatte den Mund voll und deutete als Antwort nur auf den Flügel. Ich brach mir noch ein Stück ab und schielte auf die Packung. Die Schokolade war total lecker. Irgendwas mit eleganten Goldbuchstaben,nichts aus dem Supermarkt. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Claire wohl ebenso viel Geld hatte wie Julius. Ich sprach sie auf Julius an.
»Wieso gehört Julius eigentlich so eine große Villa?«
»Was? Hat er das etwa behauptet?«
»Nein, ich ... Also, Benjamin hat das gesagt.«
»Der spinnt. Hat wieder mal nicht richtig zugehört. Die Villa gehört Julius' Vater.«
»Und wo wohnt der Vater?« Einen hysterischen Moment lang dachte ich an das Schlurfen neulich nachts und an das mysteriöse Obergeschoss, das niemand betreten durfte.
Claires Mundwinkel kräuselten sich amüsiert. »Na, in seiner anderen Villa natürlich. Mit seiner zweiten Frau. Oder siebten, was weiß ich.«
»Aha«, sagte ich nur. Sie schien nichts bei dem Gedanken zu finden, dass eine Familie in zwei riesigen Häusern wohnte.
Claire machte den Fernseher an, weil sie irgendeine Vorabendserie gucken wollte, und nach einer Weile kam auch Julius einfach herein und setzte sich zu uns. Ich versuchte, ihn geflissentlich zu ignorieren, damit er nicht wieder irgendwelche blöden Witze über Anwälte machte, aber er war wie ausgewechselt. Legte die Beine auf den Tisch, scherzte mit Claire rum,
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