Villa des Schweigens
weißen Kittelchen herum und kamen mir alle vor wie Klone von Lauren. Ich floh in die zweite Etage. Der Geruch nach Leder und Schuhen und Koffern. Sachte strich ich mit den Fingern über elegante Reisetaschen, einfach nur, um etwas zu berühren. Ich ignorierte das »Kann ich Ihnen helfen« der Verkäuferin, die wie ein Stehaufmännchen aus ihrer Ecke hervorgeschossen kam. Schlenderte weiter im Takt der dudelnden Kaufhausmusik, lauschte den beruhigenden Geräuschen um mich herum. »Frau Schnabel, bitte die 325«, irgendwo zischten Espressomaschinen, ein Kind weinte. Ich wollte hier bleiben. Mich auf ein weiches Ledersofa fallen lassen und einschlafen. An nichts mehr denken müssen. Zwei Verkäuferinnen musterten mich. Es war klar, dass ich so kurz vor Ladenschlusskeine Ledercouch für 4000 Euro kaufen würde. Ich fuhr mit der Rolltreppe weiter hoch. In ein Reich aus Teppichen und orientalischem Klimbim. Hier war es ruhiger. Dicke goldene Buddhas standen aufgereiht nebeneinander und lachten lautlos.
Einem Buddha über den Bauch zu streicheln bringt Glück, so hatte ich einmal gehört. Sachte ließ ich meinen kleinen Finger über das kühle Metall gleiten. Glück konnte ich wirklich gebrauchen. Neben den Buddhas hingen Schilder mit Weisheiten aus aller Welt. An einem blieb mein Blick hängen. Luck comes to those who are prepared. Das Glück kommt zu denen, die darauf vorbereitet sind.
Das war's! Ich würde dem Glück ein bisschen auf die Sprünge helfen und schon mal meine Sachen zusammenpacken. Plötzlich hatte ich es eilig, zurück in die Villa zu kommen.
Es schien keiner da zu sein und mein Zimmer sah aus wie immer. Ich atmete auf. Große Lust, jemanden zu treffen, hatte ich wahrlich nicht. Seufzend fing ich an, meine Sachen zusammenzutragen. Mit dem ganzen Papierkram auf meinem Schreibtisch würde ich anfangen. Ich griff nach einer Postkarte, die ich hatte schreiben wollen. Sie war nass. Meine Hand zuckte zurück. Und dann sah ich es. Mein Skizzenbuch! Meine Zeichnungen, an denen ich seit über einem Jahr gearbeitet hatte! Die Colaflasche warumgefallen und hatte ihren Inhalt darauf ergossen. Alles war verwischt, aufgeweicht, verschmiert, verdorben. Wie blöd war ich nur? Wie hatte ich nur so achtlos sein können? Überall waren braune Pfützen, selbst auf dem Boden, wo bereits ein paar Ameisen herumkrabbelten. Ich trampelte mit dem Fuß darauf herum, dabei konnten die Ameisen doch gar nichts dafür. Wenn ich nicht aufpasste, hatte ich bald den ganzen Haufen im Zimmer. Fassungslos setzte ich mich auf mein Bett. In dem Moment schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.
Ich schnellte wieder hoch. Ich hatte die Cola heute Nachmittag neben mein Bett gestellt.
Und nicht auf den Tisch.
Ich will, dass Nina abhaut. Warum haut sie nicht ab? Was hat sie hier verloren? Sie verdirbt alles. Alles! Ich hasse sie!
Ich stehe vor dem Spiegel, mein Gesicht wutverzerrt. Ich atme tief ein. Als Kind wollte ich immer Theater spielen. Durfte ich nie. Dabei bin ich so gut. Ich lächele, noch etwas verkrampft. Dann entspannt. Freundlich. Kumpelhaft.
Lächelnd werde ich dafür sorgen, dass sie hier verschwindet. Eine Gedichtzeile fällt mir ein.
»Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt ...«
Goethe.
Ich liebe Gedichte.
22. Kapitel
Mein erster Impuls war, das Haus sofort wieder zu verlassen. Doch wo sollte ich hin? Es war mittlerweile schon fast neun. Ich hätte in irgendeinen Club, eine Kneipe gehen können. Doch was würde in meiner Abwesenheit in meinem Zimmer passieren? Es schien mir auf einmal sicherer, hier zu bleiben. Außerdem verstand ich nun gar nichts mehr. Warum schrieb mir jemand Liebesgedichte, schenkte mir seltene Schokolade, legte mir Blumen ins Bett – und machte anschließend das kaputt, was mir geradezu heilig war?
Was für ein perverses Spiel fand hier statt? Ich hatte Benjamin und Stefan noch nicht mit den Haikus konfrontiert. Das würde ich tun, sobald die beiden eintrudelten. Wo waren sie eigentlich alle?
Ich schob den Stuhl unter die Türklinke, zerrte die Gartentür mit Wucht in ihren Rahmen, schloss das Kippfenster und zog die Vorhänge zu. Dann machte ich meinen iPod an, stöpselte mir die Kopfhörer in die Ohren und drehte die Lautstärke voll auf. Ich wollte keine Außengeräusche hören. Wollte mich ablenken. Ich trank die zweite Colaflasche, die Mr Unbekannt gnädigerweise nicht ausgekippt hatte,wenn ich mir auch sicher war, dass sie vorhin noch zu gewesen war. Aber vielleicht litt ich
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