Villa des Schweigens
dunstig, der Himmel trübe. Eine Amsel hopste auf dem Rasenherum, wahrscheinlich lagen irgendwo noch Krümel von der Party. Ganz weit weg konnte ich den Lärm der Großstadt hören, undeutlich, aber doch allgegenwärtig. So eine Riesenstadt. So anders als unser kleines Kaff zu Hause. Und da wurde mir klar: Ich würde auch nicht wieder nach Hause fahren. Sondern mir ein neues Zimmer suchen, ganz einfach. Ein winzig kleines, wenn es sein musste, in einer WG voller alter Omas und Katzen. Es war mir egal. Nur weg aus der Villa und nicht nach Hause zurück.
Es war noch nicht mal fünf. Zur Not musste ich eben meine Ersparnisse nehmen und in die Pension ziehen. Ich schnappte meine Tasche und radelte los.
»Jule? Hier ist Nina.« Ich saß in einem kleinen Café, vor mir lagen drei Lokalanzeiger mit Zimmerangeboten. Aber vorher wollte ich Jule anrufen und fragen, ob ich nicht doch noch bei ihnen einziehen konnte.
»Nina?« Sie klang außer Atem. Und nicht besonders freundlich. »Was ist denn?«
»Ich wollte mich nur mal wieder melden«, sagte ich. »Sehen, wie es euch geht.« Was für eine lahme Ausrede. Wir hatten auf der Party kaum miteinander gesprochen.
»Gut«, sagte sie knapp. »Wir malern gerade.«
»Oh, ist jemand ausgezogen?« Wie es aussah, hatte ich Glück.
»Nein. Lissy will ihr Zimmer verändern.«
»Ach so. Schade. Schön, meine ich. Schön für Lissy.« Ich kreiselte verzweifelt um mein Anliegen herum. »Ich hatte gehofft, dass ihr wieder ein Zimmer frei habt. Ich will nämlich ausziehen.« Endlich war es heraus.
»Das wundert mich gar nicht«, wetterte sie auf einmal los. »Mit was für Typen du da zusammenwohnst. Die sind ja asozial. Asozial!« Ihre Stimme kippte beinahe über.
»Ja, sie sind ein bisschen komisch«, entschuldigte ich mich. Von der toten Lauren fing ich lieber gar nicht erst an.
»Komisch? Einer hat ein Bier über Janek gekippt. Absichtlich! Und so ein Kerl mit Glatze hat Lissy eine verklemmte Zicke genannt! Weil sie sich nicht von ihm befummeln lassen wollte! Ich ...«
»Okay, tut mir leid«, unterbrach ich sie. »Deswegen will ich ja da weg. Kann ich bei euch einziehen? Ich teile mir auch mit jemandem das Zimmer, wäre nicht lange.«
»Wie soll das denn gehen? Willst du auf dem Fußboden schlafen?« Sie tat, als ob das die unsinnigste Vorstellung auf der Welt war.
»Ja, wenn's sein muss«, murmelte ich. Aber in Jules Welt war so etwas nicht möglich. Wahrscheinlich war das asozial.
»Tut mir leid«, schnappte sie, obwohl es überhaupt nicht so klang. »Das geht wirklich nicht. Du findest bestimmt woanders was, gibt ja genug Zimmer.«
»Okay, nichts für ungut. Viel Spaß beim Malern!«
Ich war so sauer. Sauer auf mich, dass ich diese dumme Gans überhaupt in Erwägung gezogen hatte.
Ich bestellte mir einen Tee und durchforstete die Zeitungen. Unzählige Zimmer zu vermieten, wer sagte es denn.
Eine Stunde und gefühlte eintausend Anrufe später war meine Stimmung in den Keller abgerutscht. Es war wie verhext, eine Art Déjà-vu meiner Wohnungssuche vor ein paar Wochen. Ich war zu jung. Man wollte nur Studenten. Man wollte nur Leute, die mindestens sechs Monate Miete zahlen würden.
Also doch Franziska? Den ganzen Tag lang Teletubbies und Möhrenmatsch? Oder vielleicht eine Pension? Ich versuchte es bei der Pension Waldmann .
»Wir sind komplett ausgebucht«, sagte eine freundliche Stimme. »Versuchen Sie es doch in der Pension Sachseneck , da ist vielleicht noch was frei.«
Das Sachseneck war voll, wie auch die Pensionen Georgi , Auerbach und Wintergarten . Die Jugendherberge war ebenfalls voll, aber da sagte man mir wenigstens, warum. Diese Woche fand irgendeine Baufachmesse in Leipzig statt sowie ein klassisches Musikfestival.
Die Pension Probstheida hatte noch ein Zimmer frei. Von dort aus hätte ich zwei Stunden mit demFahrrad in die Kanzlei fahren müssen. Oder das Hotel Schwan , das war näher. Kostete auch nur lächerliche 75 Euro pro Nacht.
Ich war kurz davor, mein Handy in dem Café an die Wand zu klatschen. Aber ich durfte mich nicht unterkriegen lassen. Morgen würde ich weitersuchen, Zimmerangebote änderten sich ja jeden Tag. Kurz entschlossen stand ich auf und radelte in die Innenstadt. Schloss mein Fahrrad ab und ging in das erstbeste Kaufhaus, das ich sah. Solange es irgendwie ging, wollte ich mich von der Villa fernhalten.
In der ersten Etage wehte mir erstickender Parfümgeruch entgegen, präzise geschminkte junge Verkäuferinnen standen in ihren
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