Villa des Schweigens
Arm juckte.
Die Zwiebel half überhaupt nicht. Meine Haut blieb rot. Stattdessen roch ich jetzt auch noch wie eine Küchenmagd. Entnervt schrubbte ich den Zwiebelsaft wieder ab und ging in die Küche, um mir ein paar Eiswürfel zu holen. Eine zusammengesunkene Gestalt im weißen Kittel saß dort mit dem Rücken zu mir am Tisch und rührte in einer Tasseherum. Stefan. Wieso war er wieder da? Er trug noch seine Pflegeruniform. Seine Schultern zuckten leicht. Heulte er?
Als er mich hörte, drehte er sich um. Seine Augen waren rot umrandet, doch als er mich sah, zog ein Lächeln über sein Gesicht.
»Nina! Setz dich doch mit her.«
Ich blieb stehen. »Was ist denn? Du bist doch vorhin erst weg?«
»Ich habe gerade ...« Er stockte. »Laurens Mutter hat mich angerufen. Die Polizei hat Laurens Tod offiziell zum Selbstmord erklärt. Laurens Mutter denkt, dass ich Schuld daran habe. Sie war besinnungslos vor Wut.« Er schniefte. »Heute vor einem Jahr hatten wir uns kennengelernt. Lauren und ich. Es ist so unglaublich.«
Ich setzte mich zu ihm hin. Vor lauter eigenen Problemen hatte ich total ausgeblendet, dass Stefan gerade seine Freundin verloren hatte. Oder vielmehr seine Exfreundin.
»Du musst sie sehr vermissen«, murmelte ich.
»Ich fühle mich auch so schuldig. Aber wie hätte ich denn ahnen können, dass ...« Er schien noch mehr zusammenzusacken. Ein Anblick, der mir das Herz abschnürte. Er sah auf einmal aus wie ein kleiner Junge.
»Hey!« Ich umarmte ihn. Er presste mich fest an sich. Ließ mich nicht los, auch nicht, als ich mich nach ein paar Sekunden von ihm lösen wollte.
»Nina«, wisperte er in meine Haare hinein. »Ich wollte es dir die ganze Zeit schon sagen, aber dann ging alles so schief, Laurens Selbstmord und dann die Polizei und ...«
Ich versuchte, mich aus seiner Umklammerung zu entwinden, aber er drückte mich so sehr, dass ich kaum noch Luft bekam.
»Bitte ...«, stammelte ich. Augenblicklich ließ er locker.
»Entschuldige. Ich wollte dir nicht wehtun. Aber wenn ich dich endlich mal in den Armen halten kann, dann ...«
Eine Ahnung kroch urplötzlich in mir hoch. Konnte es sein?
»Stefan!« Ich schloss kurz die Augen. Öffnete sie wieder und sah ihn an. »Hast du mir Liebesgedichte geschrieben?«
»Ja.«
Einen Moment lang glaubte ich, mich verhört zu haben.
»Die Dreizeiler, die Haikus, das mein Arm streift deinen , das war von dir?«
»Hat es dir gefallen?«
»Gefallen? Weißt du eigentlich, was du mir für einen gottverdammten Schrecken damit eingejagt hast? Und die Blume? Die Schokolade? Warst du das auch?«
»Ja. Ich wollte dir eine Freude machen. Du warst so allein und ich fand dich vom ersten Tag an total süß.«
In meinen Ohren rauschte es. Ich betrachtete seine leuchtenden Augen, seinen Mund, der diese unglaublichen Sätze von sich gab, seine sauberen Pflegerhände, die meinen roten, juckenden Arm streichelten. Dann erinnerte ich mich plötzlich an seinen Gesichtsausdruck, als er mich mit den roten Blüten in der Hand gesehen hatte. Als er mich mit Lauren im Obergeschoss überrascht hatte. Und als er mich nahezu bedrängt hatte, doch bitte nicht auszuziehen. Auf einmal machte alles Sinn. Seine Bemerkungen, seine Blicke, sein Durch-die-Haare-Wühlen und sein Unmut, als Lars auftauchte. Gleichzeitig war es total absurd.
»Eine Freude?«, brachte ich schließlich heraus. »Warum hast du mir das nicht einfach gesagt? Und außerdem hast du doch mit Lauren ...« Ich brach ab. Fassungslos.
»Ich wollte nichts mehr von ihr, das musst du mir glauben. Aber dann hat sie sich bei der Party wieder an mich rangedrängt und mich angemacht und so. Ich bin doch auch nur ein Mann!«
»Auch nur ein Mann!« Ich lachte auf, verächtlich und ungläubig. Dann kam mir ein schrecklicher Gedanke. Stefan arbeitete doch im Krankenhaus. »Hast du ihr die Tabletten eingeflößt?«
Er zuckte zurück. »Natürlich nicht. Mensch, Nina, Drogen sind wirklich das Letzte! Claire und ich haben damals alles getan, um Julius zu helfen. Claire hat die Adresse von der Beratungsstelle rausgefundenund ich habe seinen Vater benachrichtigt. Ich wünschte, er hätte das verdammte Zeug nicht im Haus gehabt. Lauren muss das irgendwie mitgekriegt haben. Sie war so uneinsichtig, sie wollte es einfach nicht wahrhaben, dass es aus war.«
»Uneinsichtig.« Ich entzog ihm meinen Arm, aber er ließ nicht locker. Grapschte nach meinen Händen, drängte sich wieder an mich heran, schmiegte seine Wange an meine, seine
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