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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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gesagt?« Claire drehte sich um. Ich wusste plötzlich, an wen sie mich erinnerte. An so eine verrückte Krankenschwester in einem Horrorfilm, den ich mal gesehen hatte. Doch das hier war kein Horrorfilm. Das war mein Leben. Ich versuchte es noch mal.
    »Julius! Julius!« Es klang lauter, aber nicht sehr.
    »Gib dir keine Mühe.« Claire verschränkte die Arme über der Brust. »Der hat Kopfhörer auf.« Sie sahauf ihre Uhr. »Huch, ich muss los. Stefan hat bald Schluss, da will ich ihn doch überraschen. Du hast ja alles, was du brauchst.«
    Sie beugte sich noch einmal über mich, so nah, dass ich die Poren auf ihrer Haut sehen und ihr süßliches Deo riechen konnte. Ich krallte meine Hand in ihren Ärmel, aber sie schnipste sie weg wie ein lästiges Insekt.
    »Bitte«, keuchte ich. »Bitte!«
    »Pffft«, machte Claire.
    Und damit verschwand sie aus meinem Blickfeld.
    Ich wusste nicht mehr, ob ich wach war oder träumte. Ein Teil von mir wollte einfach in dieses weiche Nichts sinken, sich nicht mehr anstrengen müssen, nachgeben. Ein anderer Teil tobte wie ein wildes Tier tief in mir: »Mach was! Reiß dich zusammen! Kämpfe!« Ich kniff mich mit aller Kraft in den Handballen, damit der Schmerz mich wachrüttelte. Meinen Kopf konnte ich hochheben, sehr gut. Mich auf einer Hand abstützen auch. Ich fixierte den Vorhang. Diese verdammte Schlange hatte komplett die Sicht versperrt. Bis auf das kleine Stückchen unten war alles zu. Ich keuchte vor Anstrengung, als ich auf dem Bett vorwärtsrobbte, um mich am angrenzenden Tisch festzuhalten und hochzuziehen. Herrgott noch mal, ich konnte sogar Julius' nackte Füße durch das kleine Loch sehen. Sie wippten im Takt zu irgendeiner beschissenen Musik, die er sich anhörte, während ichkeine zehn Meter von ihm entfernt um mein Leben kämpfte. Ich musste es schaffen, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Denn sonst ... sonst ... Tränen trübten meine Sicht, mein Atem ging stoßweise. Meine Eltern! Mein Bruder, meine Freunde. Lars! Meine Zukunftspläne! Sollte es das hier gewesen sein, dass ich, Nina Bachmann, durch eine Überdosis von »Hillbilly Heroin«, oder was immer zum Teufel es war, sterben musste – nur weil eine Verrückte auf mich eifersüchtig war? Wegen eines Jungen, der mir nicht mal etwas bedeutete? Ich stieß einen gequälten Laut aus, rutschte ab und krachte mit dem Kopf gegen mein Bettende. Der stechende Schmerz ließ mich aufstöhnen, riss mich aber aus meiner Benommenheit.
    »Julius!«, krächzte ich verzweifelt. »Julius! Julius!« Es hatte keinen Zweck. Sein linker großer Zeh kratzte gerade den rechten Knöchel. Daneben war der Rasen jetzt ein bisschen dunkel. Ich wusste sofort, was das war. Der Schatten von dieser schrecklichen Teufelsfigur, der sich wie mir zum Spott da draußen ausbreitete. Im Flur klappte eine Tür. Claire! Oh Gott, kam sie etwa wieder zurück? Was hatte sie jetzt vor? Ich hörte Schritte.
    Mein Handy! Es lag auf dem Tisch, direkt neben meinem Laptop. Wenn ich es nur erreichen könnte. Ich konzentrierte meine ganze Kraft darauf, mich wieder hochzustemmen. Biss mir vor Anstrengung noch mal auf die Zunge. Schweiß strömte aus allen Poren, meine Haut war kalt und klamm, obwohl esbullig heiß im Zimmer war. Meine Fingerspitze berührte das Handy. Ich schaffte es, ich schaffte es! Nein. Meine Finger waren zu glitschig. Das Handy schnippte weg, ich rutschte ab, stürzte aus dem Bett und riss das Laptop mit runter, in dessen Kabel mein Arm sich verheddert hatte. Mit lautem Knall krachte es neben mir auf den Boden und ich schrie vor Schmerz und Schreck auf. Dann wurde alles dunkel.
    Und wieder hell. Der Mond schien, direkt vor mir. Mitten am Nachmittag? Ich blinzelte. Etwas zerrte an mir.
    »Nina«, sagte der Mond. Es klang wie aus weiter Ferne. Eine tiefe Stimme. Meine Augenlider hafteten zusammen wie mit Heißkleber versiegelt. Ich riss sie auf. Der Mond war kein Mond. Sondern ein Gesicht. Ich kannte das Gesicht. War das Julius? Nein. Direkt vor mir sah ich jetzt seltsame rote Muster. Benjamin. Es war Benjamin in seinem schrillen Hemd.
    »Nina«, sagte er wieder. »Was ist denn mit dir?«
    »Claire«, flüsterte ich. Meine Zunge lag wie ein Fremdkörper in meinem Mund, wie eine riesige Weinbergschnecke.
    »Claire?«
    Ich holte Luft. Es tat höllisch weh. Und dann sagte ich es.
    »Tabletten. Wie bei Lauren.«
    Das Letzte, was ich sah, waren Benjamins Augen, die sich erschrocken weiteten.

27. Kapitel
    Es war das Hemd, das mich gerettet

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