Villa des Schweigens
nicht mit Gummihandschuhen. Die sind zwar nützlich, wenn man zum Beispiel jemandem was in die Tasche stecken und keine Fingerabdrücke hinterlassen will, aber richtig schützen können sie die Handgelenke nicht.« Sie seufzte resigniert.
»Wieso ... jemandem was in die Tasche ... was meinst du ...?« Ich kapierte nichts mehr. Alles war so verwirrend. Und ich fühlte mich so schwebend, so schläfrig und schlaff. Die Wände des Zimmers kamenauf mich zu und entfernten sich dann wieder, wie ein Akkordeon. Meine Hand hielt immer noch das Glas, ich beugte mich vor, um es abzustellen, aber es war, als hätte jegliche Kraft mich auf einmal verlassen. Das Glas polterte auf den Boden, fiel um und rollte ein Stück in Richtung Flügel.
»Na so was«, sagte Claire vergnügt. »Du verträgst ja wirklich nichts. Aber ich will mal nicht so sein. Ich geb dir noch was. Ist ja für 'nen guten Zweck.« Sie füllte das Glas wieder und hielt es mir hin. Ich reagierte nicht. Ich war wie erstarrt. Gedankenfetzen hetzten durch meinen Kopf, so unglaublich und so grauenvoll, dass mein Verstand rebellierte.
»Die Ameisen, das warst du?«, gelang es mir zu sagen. Ich konnte nicht richtig reden, meine Zunge fühlte sich an wie dreimal verknotet. War ich bereits betrunken?
»Ts, ts«, machte Claire. Sie griff nach meiner Hand, die schlaff hinunterfiel. »Ja, das war ich. Du siehst aus wie ein Engel, wenn du schläfst. Wahrscheinlich ist er deshalb so scharf auf dich.« Ihre Stimme klang mit einem Mal ganz rau und wütend.
»Mir ist schlecht«, stammelte ich. Heiße Wellen tobten durch meinen Kopf, das Zimmer schien sich zu drehen.
»Natürlich ist dir schlecht. Aber nicht mehr lange. Bald schläfst du wie ein Baby. Wie letzte Nacht. Hat die Cola geschmeckt?« Sie kicherte.
Ich wollte aufstehen. Aufstehen und wegrennen.Aber es ging nicht. Ich kam nicht hoch und rutschte immer wieder ab. Claire sah mir zu und lachte.
»Nicht lustig«, keuchte ich.
»Nein, es ist nicht lustig, da hast du recht. Weißt du, was auch nicht lustig ist? Wenn man in jemanden verliebt ist, so verliebt ist, dass man alles für ihn tun würde. Wenn man ihm Gedichte schreibt. Die beste Zeit seines Lebens mit ihm hat, die besten Tage, die besten Nächte. Und wenn dann plötzlich so ein dummes Huhn mit Kriegsbemalung und Spitzen-BH auftaucht und er einen fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Nein, das ist nicht lustig. Das ist grausam.«
»Was?«
»Ohne unsere Hilfe wäre Julius früher oder später krepiert. Aber wir haben ihn gerettet, wusstest du das? Das verbindet.«
»Du ... du und Stefan?« Trotz des schwammigen Gefühls in meinem Kopf fing ich an zu begreifen. Claire kann Ablehnung nicht ertragen! Wer hatte das gleich gesagt?
Aber sie redete mit sich selbst, nicht mit mir.
»Wenn man alles versucht, um denjenigen zurückzubekommen, aber nur verspottet wird. Wenn man noch ab und zu mal benutzt wird, sich jedes Mal Hoffnungen macht, die wieder zerschmettert werden. Ganz recht, du hörst richtig. Er hat noch ein paarmal mit mir geschlafen, als Lauren-Darling schon aktuell war.« Sie kaute auf ihrer Lippe herum.»Wenn man nur noch ein Foto hat. Das tut weh. Mehr als alle Ameisen der Welt.«
Jetzt stand sie auf und lief durch das Zimmer. Rastlos wie eine Tigerin.
»Und wenn man dieses geistlose Geschöpf so sehr hasst, dass man sie umbringen könnte! Und sich dann eine einmalige Gelegenheit bietet, sodass man einfach nicht widerstehen kann. Julius lässt ja alles offen in seinem Zimmer rumliegen, total naiv und ...« Ihre Stimme brach ab. Verzweifelt versuchte ich aufzustehen und mich irgendwie bemerkbar zu machen. Claire war eindeutig völlig wahnsinnig. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte, aber noch schlimmer war dieses eisige Gefühl, das sich in mir ausbreitete. Ich war nicht betrunken. Genauso, wie ich letzte Nacht nicht einfach nur müde gewesen war.
»Was ist in dem Drink«, flüsterte ich. Ich konnte nicht mal mehr laut sprechen.
Sie fuhr herum. »Hör mir gefälligst zu! Aber weißt du, was wirklich, wirklich lustig ist, geradezu hysterisch lustig? Dass Stefan mit Lauren an demselben Abend Schluss gemacht hat, als ich sie aus der Welt geschafft habe. Ist das nicht ulkig? Es wäre gar nicht nötig gewesen. Du bist es, um die ich mich schon längst hätte kümmern sollen! An dich hat er meine Gedichte weitergereicht! Meine Schokolade!«
Sie sprang so plötzlich auf mich zu, dass mir vor Schreck Tränen in die Augen schossen. Mit ihremArm
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