Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Karnesen geholfen, so gut sie konnte. Viel war es nicht gewesen. Der Kerl war so schwer, und das unheimliche bohrende Gefühl in ihrem Brustkorb hatte sie davor zurückzucken lassen, sich richtig anzustrengen. Am wenigsten schmerzhaft war es, flach zu atmen und sich gemächlich zu bewegen. Jetzt stand sie langsam auf und schaute sich um. Von den Überresten der VILM VAN DER OOSTERBRIJK war natürlich nichts zu sehen; die waren etliche Kilometer entfernt. Der Gleiter lag schräg, das Cockpit nach unten, zwischen den einheimischen Gewächsen – ein Teufelsrochen, der das Fliegen verlernt hatte. An der linken Schwinge klaffte eine hässliche Wunde. Adieu, Nummer sieben. Leise plapperten die warnenden Stimmen. Wenn es nicht in der nächsten halben Stunde brennt, dann gar nicht mehr, entschied Barbara. Dann gehe ich hinüber und hole Verbandszeug für Jonathan.
Der Karnese verlor immer wieder das Bewusstsein, und als Barbara ihn untersuchte, fürchtete sie, bald allein hier zu sein. Jonathan atmete gepresst, halb gegen einen dieser wirren Sträucher gelehnt. Die linke Seite seiner Montur war blutgetränkt.
»Verdammt, Vliesenbrink«, sagte sie, »du kannst mir doch nicht einfach wegsterben.«
Er öffnete die Augen. »Keine Chance«, entgegnete er leise, »ich will dir später meine ... meine Meinung sagen. Das war echt eine lausige Landung ... Ich weiß, wovon ich rede ... Ich habe selbst schon einige miese Flüge gemacht. Kümmere dich ... kümmere dich doch mal um den Kollegen da ...« Er hustete trocken, und Blutströpfchen sprühten von seinen Lippen.
Barbara schaute nach, was er meinte. Der Kollege, von dem Jonathan gesprochen hatte, war ein einheimisches Tier, das von der Druckwelle des abstürzenden Gleiters getötet worden war. Ein merkwürdiges Vieh, hochbeinig wie ein Reh, jedoch gedrungen wie ein Hausschwein, und es hatte zwei Köpfe. Barbara musste zweimal hinsehen, aber es stimmte. Das Tier hatte kein Vorn und kein Hinten, nur zweimal Vorn. Barbara wollte zu Jonathan zurückkehren, als eine Bewegung ihre Aufmerksamkeit erregte. War das seltsame Wesen nicht so tot, wie sie geglaubt hatte? Sie ging einen Schritt heran.
Sie hatte sich nicht geirrt. Das fremdartige Tier war zweifellos tot, und doch bewegte es sich: Haarige Finger aus der feuchten Erde griffen nach ihm und zupften an den langen schlanken Läufen, krochen um den Leib des Tieres herum, bewegten den Boden, sodass der Kadaver langsam nach unten gezogen wurde. Ehe Barbara sich angewidert abwandte, hörte sie ein feucht schmatzendes Geräusch, als die Aasfresser das Fell des toten Tieres zerrissen.
Barbara ging langsam zu Jonathan zurück, der still dalag, die Augen geschlossen, und stoßweise atmete. Zweimal drehte sie sich ruckartig um – eine Bewegung, die an ihrem Innern zerrte –, weil sie sich wieder einbildete, etwas oder jemand starre sie aus den Pflanzen heraus an. Natürlich war da nichts, nur Nässe und Schlamm und diese Gewächse, die aussahen wie riesige Wattebäusche, die ein verspielter Gott auf der Oberfläche dieses Planeten ausgestreut hatte. Nur war Watte weiß und wuschlig und trocken, während diese Dinger hier finster, stachlig und feucht waren.
Sie setzte sich neben Jonathan. Hoffentlich, dachte sie, findet irgendeiner Nummer sieben und liest die Flugschreiber. Und hoffentlich hat derjenige kein Edelmetall um den Hals. Ein Schwindel ergriff sie, und ihre Zähne klapperten. Etwas brannte in den Augen; kalter Schweiß lief ihr übers Gesicht. Sie streichelte Jonathan, dessen Atemzüge kaum hörbar waren. Seine Kleidung hatte sich vor geronnenem Blut schwarz verfärbt. Schade, dachte sie, unter anderen Umständen hätte manches anders kommen können. Die ersten Karnesen, die ich treffe, sind so patente Kerle, und beide müssen ins Gras beißen. Ach, Jonathan Vliesenbrink, es ist erst ein paar Tage her, da habe ich darüber nachgedacht, ob ich dich je ins Bett kriege.
Jonathan Vliesenbrink schlug die Augen auf, und sein verschleierter Blick fixierte etwas hinter Barbaras Rücken. Dann hörte sein Atem auf, und Barbara war allein. Oder doch nicht? Was hatte Jonathan da angeschaut? Barbara beschloss, nicht gleich hinzusehen. Erst griff sie dem Karnesen ins Gesicht und drückte die Lider herunter. Der Regen hatte begonnen, ihm in die offenen Augen zu fallen. Dann drehte sich Barbara um, und etwas, das bei ihrer lausigen Landung kaputtgegangen war, protestierte in ihrem Leib energisch gegen diese Bewegung.
Auf der Lichtung
Weitere Kostenlose Bücher