Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
sind, gleichgestellt, damit das klar ist, von vornherein.«
Eliza musste lächeln.
»Und wir brauchen, dringend sogar, dein Wissen«, setzte Tina ihre offensichtlich vorher sorgfältig überlegte Rede fort. »Du bist sicher in so allerlei Dinge eingeweiht, ehemalige Geheimnisse, die uns nützen können, ja müssen. Raus damit, sage ich dir, und denk dabei daran, dass es sich jetzt anders verhält als bisher, es gibt keine Teilung mehr, wie früher, in Zentralier, Besatzung und Passagiere, das ist vorbei, und zwar endgültig. Wir sind jetzt aufeinander angewiesen, auf diesem regnerischen Planeten, sind sozusagen Schiffbrüchige.« Tina hatte ihre Rede beendet, ergriff ihre Tasse und goss das inzwischen kalt gewordene Getränk hinunter, als wäre es Wasser.
Eliza holte Luft, um zu erwidern, sie war scharfe Diskussionen gewöhnt. Die Zentralier waren geschickt bei spitzfindigen Gesprächen, Wortgefechte auf des Messers Schneide waren eins ihrer beliebtesten Spiele. Standpunkte oder Argumente austauschen, die Gründe des Gegners solange wenden, bis es eigene Waffen geworden waren. Alle diese Tricks kannte sie, und entschiedene Widerworte gegen Tina sollten ihr nicht schwerfallen. Sie, Eliza, war eben »besonders« behandelt worden, »bevorzugt«. Diskriminiert, nur des in ihren Arm eingepflanzten Kontakters wegen, vor diese lächerliche Regierung gestellt wie eine entmachtete Hexe vors Tribunal der Magier. Man hielt ihr vor, sie sei zum epsilonischen Raumschiff gereist. Wie sah es da mit der Gleichheit aller aus ...? Und hatte niemand bemerkt, dass es zwar eine Menge der verschiedensten Trinkgefäße auf dem großen Tisch gab, nur keines für Eliza?
Aber in dem Augenblick, da Eliza loslegen wollte, sah sie, dass da auch Schwester Gerda saß. Sie machte Eliza ein Zeichen, eine abwehrende Handbewegung. Eliza sah ein leichtes Kopfschütteln der in dieser Runde so unscheinbaren Frau, da war etwas Bittendes in ihrem Blick. Eliza zögerte, und ehe sie sich fassen konnte, wurde sie am Arm ergriffen und weggeführt. Verblüfft ließ Eliza das geschehen – die sonderbare Versammlung setzte die Sitzung fort, als habe keiner damit gerechnet, die Zentralierin könne noch etwas sagen wollen. Man fuhr in der Tagesordnung fort. Wenn sie richtig gehört hatte, ging es um die Auffindung und Ingangsetzung eines automatischen Arztes, eines Medlabors, in den Trümmern.
Ich bin entlassen. Ich war bloß ein Punkt unter »ferner liefen«, dachte Eliza, und sie dachte es mit Wut. Im Eingang begegnete sie dem Sommersprossigen und Marek, die den unauffälligen jungen Mann aus dem Funkerzelt zwischen sich führten. Der Junge war sehr blass und trug Verbände an den Handgelenken. Die Verbände sahen schludrig aus. Die hatte jemand angelegt, der ebenso große Eile gehabt hatte wie kaum eine Ahnung von medizinischer Erstversorgung. Der Junge wurde wortlos in Empfang genommen, die Tür schloss sich. Marek lehnte sich an einen Bungalow und ließ sich feinen Regen ins Gesicht wehen. Die anderen stellten sich unter und redeten leise. Keiner sah Eliza an. Man beachtete sie nicht. Sie stand allein, im Regen, und fror. Man behandelte sie wie einen Fremdkörper.
Ich verstehe es nicht, dachte Eliza. Ich verstehe es nicht. Sie betrachtete ihre Hände. In der Fläche der linken Hand schimmerte das silbrige Muster der Kontaktstellen. Darunter schien dunkel der eingepflanzte Chip durch die Haut. Feine weiße Linien, die von der Operation stammten, zogen sich vom Handgelenk bis zum Ellbogen hoch. Dort waren die Umsetzer eingepflanzt worden. Eliza wusste nicht genau über die Funktion der einzelnen Teile Bescheid, sie kannte nur die Namen. Und natürlich wusste sie eine Menge darüber, wie es war: die Berührung jener roten Linie, die Verschmelzung des Netzes mit dem eigenen Bewusstsein.
Als sie ging, hielt sie ihren linken Arm vom Körper ab, als wäre er ein Fremdkörper. Sie dachte an den Jungen, der zu Tina geschafft worden war. Ein Suizidversuch? Weil sie seine Hoffnungen unüberlegt zerstört hatte? Ihre Gedanken irrten ab und kehrten immer wieder zur »Regierung« zurück. Das war etwas, was sie nicht begriff. Normal und den Gepflogenheiten entsprechend wäre gewesen, sie als Mitglied der Schiffsführung hätte die Befehlsgewalt übertragen bekommen; normalerweise hätten sich alle darauf verlassen, dass es die von da oben richten würden. So, wie sich die Passagiere und Besatzung immer darauf verließen, dass für jegliches Problem ein Zentralier
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