Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Katastrophe der VILM VAN DER OOSTERBRIJK gegeben habe. Es wurde schlagartig still.
»Glück?«, sagte Tina scharf, »Glück nennst du das also, einfach nur Glück? Du erlaubst, dass ich das einschränke, wenigstens ein bisschen. Für uns ist es, in der Tat, ein ungeheuerlicher Zufall, dass wir leben, während es für tausende andere ein viel ungeheuerlicherer Zufall ist, tot zu sein. Für dich, gut behütete Zentralierin, dürfte es eher normal sein, am Leben und gerettet ein solches Desaster zu überstehen. Es wird irgendein Computer, irgendwo, geschaltet haben, kleines Sonderprogramm für die Leute aus der Zentrale. Prallkissen womöglich oder eine Schaumstoffeinbettung, irgendwas, da bin ich mir sicher. Eine kleine Kissenschlacht aus lauter Airbags, die sich schützend um die Zentralier legen, während ein paar Meter weiter Körper zerplatzen wie reife Melonen, die vom Balkon fallen. Man kann, versteht sich, das Fußvolk nicht ohne die Aufsicht lassen, derer es so dringend bedarf. Man muss doch die gewohnte Ordnung einhalten, nicht wahr. Man muss doch, versteht sich, unterscheiden: auf der einen Seite die wertvollen Menschen, die wichtigen, fest gespeichert in den Zugriffskatalogen der Zentrale, und auf der anderen das gemeine Volk, die ohne Zugriffsnummern, ohne eigene Rechnerüberwachung, ohne tatsächliche Bedeutung. Man hat das, so oder so, doch immer gemacht, oder?«
»Das stimmt nicht, Tina«, versuchte Eliza, die Sache geradezubiegen, aber Tina hatte sich in Wut geredet. Oder eine verborgene Wut war plötzlich zum Vorschein gekommen.
»Wo normale Sterbliche, so was wie wir, warten müssen, bis die Steinzeit wiederkehrt, da kommt der Zentralier, so was wie du, und geht an uns vorbei, ganz so, als wären wir gar nicht da. Unsereins stapelt sich fast in Wartezimmern, da kommt einer mit weißem Leuchtstreifen auf dem Ärmel, kontaktiert einmal einen dieser verdammten Rechner, mit dieser verdammten roten Linie, und geht an uns vorbei und sieht uns nicht einmal an. Wir warten auf ein Mobil, als es so was noch gab, der Zentralier hatte eben eins, wenn er es brauchte. Und wer, bittschön, hat die teuren Medlabors, ganztags nur darauf wartend, sich ihrer zu bedienen? Und wer, bittschön, hat sich, im Gegensatz dazu, gefälligst anzumelden und zu warten? Und wer hat, bittschön, das Recht, andere anzuschnauzen? Hast es wohl schon, ziemlich schnell, finde ich, vergessen, Marek?«
Eliza hatte fassungslos zugehört. Da schlug ihr Hass entgegen, und sie hatte nichts, was sie hätte erwidern können. Schwer wog ihr Wissen: She Tsi. Der Reparaturtrupp. Die Gleiter. Selbst-Belebung. Eine giftiggrüne Feuerwand, die Menschen das Fleisch von den Knochen riss, ehe ein gnädiges Systemversagen – zu spät – den Zuschauern alle weiteren Bilder ersparte. Eliza wusste, dass sie das für sich behalten musste. Genauso, wie auch Vliesenbrink offenbar für sich behalten hatte, was er gewusst hatte.
Völlige Stille herrschte. Niemand widersprach. Die meisten nickten. Eliza sah niemanden, der protestieren oder etwas entgegnen wollte. Schwester Gerda schaute traurig zu ihr herüber, Marek betrachtete den Boden, und der Sommersprossige war ein Stück weggerückt. Joern war verschwunden. Tina starrte die Zentralierin an, als hätte sie die Macht, sie mit Blicken zu verbrennen.
Eliza stand auf und ging. Wie betäubt stiefelte sie in Richtung Gebirge, durchquerte den Matsch und stand zornbebend im Regen. Was sollte sie tun? Alles sagen, die letzten Geheimnisse der Zentrale verraten? All das Zeug, das Lafayette, seine Auswahlkumpane und die anderen mit ins Grab genommen hatten? Ein Grab aus Schrott, dutzende Meilen groß ... Und unerweckte Ungeheuer darin. Es konnte nicht ungefährlich sein zwischen den Überresten des Weltenkreuzers, wenn sogar Karnesen wie Jonathan Vliesenbrink von einer Expedition in die Trümmer nicht zurückkehrten. Die Wahrheit sagen? Würde sie damit nicht noch mehr Hass und Zorn auf sich ziehen? Hatte deshalb Jonathan geschwiegen? Oder hatte der Karnese keine Verbindung gesehen zwischen der Katastrophe der OOSTERBRIJK und dem widerlichen Ding in She Tsis Schädel? Der immerwährende Regen dieser Welt hatte Eliza völlig durchnässt, als sie beschloss, dass aus all diesem Gegrübel nichts Gescheites herauskäme.
»Weißt du, warum wir gefeiert haben?«, fragte Gerda eine Stunde später, als sie sich schlafen legten.
»Sicher nicht, um mir eine Freude zu machen«, antwortete Eliza verbittert. »Das wäre mir
Weitere Kostenlose Bücher