Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Segment der VILM VAN DER OOSTERBRIJK getroffen und teilweise zermalmt worden; zwei gigantische, aufgeschlitzte und vielfach aufgebrochene Quader steckten ineinander. Das machte in diesen beiden Segmenten alle Wege, die Eliza finden konnte, unpassierbar, wie Marek zahllose Male feststellen musste.
Immer wieder kehrten Elizas Gedanken zu einer bestimmten Stelle auf ihrer Wanderung zurück. Da war ein weißer Gletscher aus geborstenen Containern gequollen; ein seltsamer Anblick mitten im Regen. Bei näherem Hinsehen erwies sich das Eis als künstlich: Es war zerbrochenes Geschirr, Handelsware aus den berühmten serafimischen Porzellinen. Eine wahre Scherbenflut rieselte aus den Behältern, der Boden in der Umgebung war vom feuchten Porzellanstaub hellgrau eingefärbt. Eliza war auf die Knie gegangen und hatte die Hand in den Haufen gesteckt, in der unsinnigen Hoffnung, eine Tasse zu finden, die nicht zerbrochen war. Eine feine serafimische Kaffeetasse, schlank, dünnwandig und elegant. Eine Tasse, die sie mitnehmen konnte und auf jenen Tisch stellen, damit eingegossen werden konnte. Aussichtslos. Der hell schimmernde Gletscher gab kein Stück heraus, das größer als vier Zentimeter war. Marek sagte etwas, wie schade es sei um all die wunderbaren und teuren Services. Eliza gab ihm recht, und dann waren sie weitergegangen. Die beiden fühlten sich wie Ratten, die ein unbarmherziger Wärter in einen unlösbaren dreidimensionalen Irrgarten gesetzt hatte. Und sie befürchteten, dass es für alle Mühe nicht einmal eine Belohnung gab. Manche Segmente waren nach dem Absturz von Bränden verheert worden, und unter einer hoch oben ruhenden Plattform war alles zu spillerigen, brüchigen Ruinen verkohlt. Die Landeschiffe der VILM VAN DER OOSTERBRIJK lagen in dem Tohuwabohu herum, verstrahlten die Umgebung mit ihren geborstenen Reaktoren oder standen unbegreiflicherweise mit weit offener Hangarluke herum, als hätte ein Gespenst nach der Katastrophe das Weite gesucht.
Nach zwei Tagen war es geschafft. Sie standen in der offenen Luftschleuse, in den oberen, nahezu unzerstörten Bereichen des Segmentes. Und in diesem Augenblick, da sie nahe daran waren, sich über ihr Entkommen aus dem Labyrinth zu freuen, hatten sie diesen Toten gefunden, zu einem Zeitpunkt, da sie auf so etwas nicht gefasst waren. Die Außentür der Schleuse war weggerissen worden, man konnte den grauen, verhangenen Himmel sehen und die typische Luft Vilms riechen: frisch und feucht und mit einem kaum spürbaren Aroma, als wäre gerade ein Raubtier vorbeigetrottet. Der Kadaver des armen unbekannten Kerls, dachte Eliza, sollte uns nur warnen. Uns nicht übermütig werden lassen. Geblendet nach der Dunkelheit zweier Tage, traten sie hinaus und machten einen vorsichtigen Bogen um den Leichnam des unglücklichen Mannes, der beim Absturz zermalmt worden war. Sie standen auf einer leicht geneigten Fläche – eine Landeplattform für Planetengleiter, erstaunlich unbeschädigt, wenn man die Panzerplatten am Rand außer Acht ließ. Die waren bizarr zerrissenes Metall. Das Gros der Installationen war im Regen ergraut, aber weitgehend intakt. Sogar die Schaltpulte waren heil. Und es gab Energie. Elizas linke Hand zuckte unwillkürlich. Die roten Linien glommen: Bereit zur Befehlseingabe! Kontaktiere mich!
Eliza erinnerte sich an den selbstverständlichen Reflex der Zentralier. Hin und wieder, alle paar Minuten, pflegte ein Zentralier die rote Linie zu berühren, und teilte durch einen kurzen Kontakt mit, wo er war, wie es ihm ging, welche Probleme es gab und welche neuen Ideen. Gleichzeitig übermittelte das Schiffshirn Mitteilungen über den Zustand jenes Bereiches, für den der jeweilige Zentralier verantwortlich war, und einen Statusbericht des Weltenkreuzers. Wer wollte, konnte auf diese Weise Botschaften hinterlassen, die dem Adressaten beim nächsten Kontakt ins Bewusstsein projiziert wurden. Grégoire B. Lafayette beispielsweise deponierte auf diese Weise die eine oder andere unanständige Mitteilung im Netz. Manchmal adressierte er das absichtlich so ungenau, dass die halbe Zentrale rote Ohren kriegte, weil alle mitbekamen, was zwischen Lafayette und Eliza Simms abging. Solche Mitteilungen hatten eigentlich im Netz nichts zu suchen. Es war für die Kommunikation da.
Kommunikation ist das falsche Wort, dachte Eliza, die wie gebannt die roten Linien ansah, es war eher das Gefühl tiefer Ruhe: Alles in Ordnung, der Laden läuft, es geht seinen Gang, keine Sorge,
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