Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
wir denken an dich, auch Grégoire, das alte Ferkel, das liebe. Man fühlte sich behaust und behütet in der beliebig abrufbaren Gegenwart jenes kühlen, klaren und großen Geistes, als der sich das Schiffshirn im Bewusstsein eines Zentraliers darstellte und der auf eine schwer erklärbare Art alle anderen Zentralier – oder zumindest ihre Botschaften und Gedanken – enthielt. Wahrscheinlich, dachte Eliza, sind wir deswegen immer so ausgeglichen gewesen; so sehr, dass wir den anderen unnahbar und fremd erscheinen mussten. Damit war Eliza wieder bei ihrem Problem angekommen, und sie wollte nicht daran denken. Lieber erinnerte sie sich an die Nacht in der Finsternis, als sie beide – Marek und sie – inmitten des zertrümmerten Segmentes schlafen mussten. Sie hatten nur einen Schlafsack mit, und auch den bloß zufällig ... Ehrlich gesagt, hatte Eliza ein bisschen bei diesem Zufall nachgeholfen. Marek schlief wie ein Kind, tief und sorglos und heiß und alle viere von sich gestreckt, und Eliza hatte es genossen, sich an seinen Körper zu schmiegen und auf seinen Atem zu hören, das einzige Geräusch der Welt. Es war kalt gewesen, und sie hatten einander gewärmt. Marek war nicht zu vergleichen mit dem haarigen Bär, der Lafayette gewesen war, und dennoch hatte sich Eliza im Halbschlaf ertappt, wie sie alten Gewohnheiten folgend zugegriffen hatte, nur für ein paar Minuten. Sie hatte es genossen, sein Glied in der Hand zu haben, und als sie ganz munter geworden war, hatte sie es langsam losgelassen, ganz so, als wäre nichts gewesen. Ob Marek sich Gedanken macht darum, fragte sich Eliza und beobachtete den Jungen, der wohl im Schlaf gar nichts gemerkt hatte. Er war, wie sie inzwischen wusste, zweiundzwanzig, aber er blieb für sie »der Junge«. Er saß über einen Bildschirm gebeugt und schlug in einem Katalog nach, ob diese Pulte hier benötigte Teile enthielten. »Was schaust du mich so an?«, fragte Marek belustigt.
»Ach nichts ... Ich war in Gedanken, entschuldige.«
»Hast du gesehen, dass die roten Linien hier überall intakt sind?«
»Natürlich.«
»Wahrscheinlich hat unser mörderischer Freund hier seine Spuren hinterlassen und die Linien wiederbelebt.«
»Das ist durchaus möglich«, sagte Eliza.
»Warum versuchst du es nicht einmal mit einem Befehl?«
Die Zentralierin zuckte zusammen. »Weil es möglich ist, dass ich das nicht überlebe. Niemand weiß, wo ich hineingeraten würde.«
Marek überlegte. »Oder«, sagte er zögernd, »weil, sei mir nicht böse ... hm, die meisten denken das, keiner sagt dir etwas. Ich finde das unfair, aber einer muss es dir ja mal sagen.«
»Was denn, Marek?«
»Die Leute meinen, du könntest sehr wohl über deinen Kontakter dieses Programm stoppen. Wenn du nur wolltest.«
Eliza war es, als zöge ihr jemand den Boden unter den Füßen weg. »Warum, zum Teufel, sollte ich es dann nicht machen? Was denken die sich eigentlich?«
»Sie sagen, du hättest Angst, dass dein Kontakter zerstört wird, dass du dann keine Zentralierin mehr wärst.«
»Das ist ja ...« Eliza blieb vor Wut die Luft weg. Ein bläulicher Glanz irrlichterte über die Plattform, und beide sahen sie zum Nachbarsegment hinüber, das achtzig Meter entfernt war und mehrere Etagen tiefer lag als diese Plattform. Dort ragte eine dreieckig gezackte Klippe empor, ein Stück zerbrochene Panzerung. Mehrere Schweißaggregate waren dabei, die riesige Platte abzuschneiden, die mit mächtigem Donner in die Ebene stürzen würde. Wie üblich gab es keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Lange Funkenketten sprühten in die Tiefe hinunter. »Das ist einfach hirnverbrannt«, sagte Eliza, »ich begehe doch keinen Selbstmord als Beweis für die Leute, dass ich ihnen helfen will. Sie haben keinerlei Ahnung davon, wie das ist, einen IN-Rechner zu kontaktieren ...«
»Wie sollten sie auch«, bemerkte Marek trocken, »das können ja nur Zentralier.«
Eliza wandte sich erstaunt um. Der Junge hatte sich im Schneidersitz vor einem der Pulte niedergelassen und bastelte in ihm herum. Er sah Eliza nicht an. »Ihr seid doch die Götter mit den weißen Ärmelstreifen. Die nicht auf ihre Umgebung achten, wenn sie außerhalb ihrer Burg, ihrer Zentrale sind. Die herabsteigen und loben oder strafen. Die mit verträumtem Gesicht ihre roten Linien berühren und gar nicht da sind ...«
Das alles hatte sich Eliza so ähnlich längst selbst gesagt oder es sich von Schwester Gerda anhören müssen. Dass es von Marek kam, tat weh,
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