Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
lang unter den Kindern. Fieber, Schluckbeschwerden, Schwächeanfälle, Husten, Appetitlosigkeit. Dann weißlich-gelber, faseriger Belag in Rachen und Luftröhre, der sich unaufhaltsam verdickte und den Kleinen die Luft abschnürte. Es hatte auf der Erde früher eine ähnliche Krankheit gegeben, das wusste Mechin von seinem Studium her. Diese jedoch war nicht irdisch. Sie stammte von hier. Mechin nannte sie nach der längst vergessenen irdischen Seuche Pseudo-Diphtherie und verlor Nerven und Nachtschlaf dabei, die Kinder zu retten. Die Erwachsenen waren völlig unempfindlich gegen die Erreger. Weder wurde Mechin krank, als er sich selbst infizierte, noch bildete sein Immunsystem Antikörper aus, die er für die Herstellung von Impfstoff hätte verwenden können. Aus irgendwelchen Gründen reagierten nur Kinder auf die fremden Mikroorganismen. Bis er gelernt hatte, die Krankheit richtig zu behandeln, starben einige der Kleinen. Meistens versagte der Kreislauf, und dagegen war er ohne Hilfsmittel fast machtlos. Mechin musste auf die Abwehrkräfte des Körpers vertrauen, denn er hatte nur geringe Mengen Antibiotika; die waren rasch aufgebraucht und zeigten gegen die unbekannten Erreger kaum eine Wirkung. Der Arzt traute sich nicht mehr, die Männer, die im Gebirge auf Suche gingen, um Medikamente zu bitten – sie riskierten ohnehin Kopf und Kragen für ihn, nein, für die Kinder ...
Einmal fanden sie heraus, dass in einem Segment Ersatzlager für Raumanzüge sein mussten. Einschließlich der Erste-Hilfe-Container; und die enthielten Medikamentenvorräte für Havarien, Unfälle und Ausnahmesituationen. Der Antibiotikaanteil in solchen Containern war nicht groß, aber bei zahlreichen Containern ... Drei Tage blieb die Gruppe im Trümmergebirge. Lagerte auf schwankenden metallenen Flächen hoch oben. Überquerte Spalten von hundert Metern Tiefe, auf deren Grund sich zerfetzte Technik türmte. Hielt eine Nacht aus, in der das ganze Lager sie tot glaubte, wenn auch keiner das laut aussprach, als ob das wirklich ihr Tod hätte sein können. Da ging ein Unwetter nieder, Sturm war und viel dichterer Regen als üblich. Die Konstruktionen knirschten und ächzten bei jedem Windstoß. Ein höllisches Konzert tönte aus dem Gebirge, Kreischen und Singen mischte sich in den Donner des Gewitters. Die Leute hatten sich an einer kleinen Galerie festgeseilt, die mal eine Arbeitsbühne gewesen sein musste. Das Geländer wies schräg nach unten. Der löchrige ehemalige Fußboden bot kaum Schutz, war aber immerhin eine Art Dach. Unter diesem Ding wickelten sie sich in Plastikplanen, schnallten sich dreifach, vierfach fest und harrten die Nacht über aus, während die kleine umgekippte Galerie im Winde schwankte und grässlich quietschte dabei. Alles das, um sich früh am nächsten Morgen mit einem komplizierten, Stunden dauernden Manöver zu jenem Lager hinüberzuschwingen und stundenlang versiegelte Kisten aufzubrechen, Medikamente einzusammeln. Wie eine ruhige Höhle am Rande eines von Orkanen aufgewühlten Ozeans kam ihnen dieser düstere Ort vor, ein Platz der Festigkeit und Stille inmitten eines Wirklichkeit gewordenen Alpdrucks. Sie fanden ein Funkgerät mit nicht entladener Batterie. Sie funkten ins Lager hinunter, dass sie am Leben waren und was in jener Nacht geschehen oder, besser gesagt, nicht geschehen war. Sie gaben durch, was sie vorgefunden hatten, wie die Medikamente hießen und welche Mengen sie mitbringen würden. Alle freuten sich, meinten, die Kinder wären gerettet. Damals hatten nicht viele der Kleinen die Krankheit ... Und Mechin lebte in einer irren Angst vor dem Rückweg, den er selbst nicht gehen musste. Er war in Sicherheit. Die da draußen mussten diesen Weg zurücklegen. Mechin brachte es nicht fertig, den anderen, die am Funkgerät saßen, von solchen Sorgen zu erzählen. Sie hätten ihn für ein Vieh gehalten, so eine gute Nachricht kaputtzumachen mit Skrupeln, Zweifeln und Befürchtungen. Und der Arzt hatte ein hoch fieberndes Mädchen in dieser kleinen Kabine oben im Schiffsrumpf, bei dem er abschätzen konnte, wann der überlastete Kreislauf zusammenbrechen würde. Er wäre lieber selbst hinaufgestiegen ins Gebirge. Sie ließen ihn jedoch nicht einmal aus dem Lager hinaus. Aus gutem Grund. Der einzige Arzt.
Es kam, wie es kommen musste. Sie kehrten nicht heil zurück. Auf dem Rückweg stürzte der Mann ab, der gerade die Führungsarbeit leistete. Er wollte sich festhalten, an Metall, das fest und stabil
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