Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
von Omaragan auf Oniskus sein konnte, während der Blitzmond im Licht seiner eigenen Entladungen vom Himmel flackert. Dieser kleine Junge hatte immer die Oberfläche dieses ewig feuchten Planeten unter seinen Füßen gespürt, nichts anderes, und niemals war er höher in der Luft gewesen, als ihn sein Pflegevater hochwerfen konnte. Will kannte nur Vilm, den ewig verhangenen Himmel, hundert Sorten von Wolken und Dutzende Arten von Regen. Er kannte Männer, die in Gebirge aus kaputter Technik zogen wie in Feindesland und mit Kisten und Geräten oder Bruchstücken davon wiederkehrten – oder auch nicht. Er wusste, dass er Papa nicht stören durfte, wenn der wieder an unrettbar aussehendem Erwachsenenspielzeug herumbastelte. Will kannte die kindische unverständliche Freude der Großen, wenn sie etwas wieder zum Blinken oder Piepsen gebracht hatten. Will konnte nichts von dem, was seine Altersgefährten auf bewohnten Welten vermochten: Er konnte keine Tastatur bedienen und kein elektronisches Spiel starten; er wusste sich nicht die einfachsten Nachrichten auf den Bildschirm zu holen, weil es auf Vilm weder Intensivlernprogramme noch Kindergärtner gab und den Kindern jegliches Wissen nach Art der Urväter beigebracht werden musste.
Will war ein Kind Vilms. In seinem Bewusstsein hatte er immer auf diesem wilden und düsteren Planeten gelebt, und Mechin hatte den Eindruck, in Wills Charakter sei das Wilde und Düstere dieser Welt längst fest verwurzelt. Seine Annäherungsversuche an den Jungen blieben jedenfalls erfolglos, und während er ihn ratlos anstarrte, schoss ihm durch den Kopf, dass er hier einem Außerirdischen begegnete. »So, Will, zuerst möchte ich dir in den Hals sehen.« Mechin formulierte vorsichtig, er ahnte Schwierigkeiten. »Es ist ganz einfach«, sagte er, »du machst den Mund auf und weiter nichts. Ich schaue hinein. Sieh doch«, der Doktor zeigte dem Kind vertrauensvoll seine leeren Hände, »ich möchte nur hineinschauen – das ist alles.«
In Wills Augen schlich sich Zweifel, und Mechin dachte für etwa eine halbe Sekunde, er hätte gewonnenes Spiel, als Frau Carlos dazwischenfuhr in ihrem ehrenwerten Bestreben, eine gute Mutter und hilfreich zu sein. »Du wirst doch dem Onkel Mechin keine Scherereien machen wollen! Tu endlich, was er dir sagt, tu deinen Mund auf und lass ihn hineinsehen, es tut ganz bestimmt nicht weh.«
Der Arzt richtete sich auf und blitzte die Frau wütend an. Sie hatte, ohne es zu merken, dem Kind seine Entschlossenheit zurückgegeben. Wie konnte sie andeuten, dass irgendetwas dem Kleinen weh tun könnte! Wie konnte sie die Möglichkeit eines Schmerzes nur erwähnen und damit dem Jungen seine Angst ins Gedächtnis rufen! Mechin konnte wieder von vorn anfangen. Er durfte nicht heftig werden oder ungeduldig, er musste ruhig und gleichmäßig auf den kleinen Kerl einreden. Unaufhörlich vor sich hinsprechend, setzte Mechin sich auf einen Stuhl, den Carl senior ihm hinschob, und rückte näher an das Kind heran.
Will sah dem Doktor ins Gesicht und auf die blinkenden Sensoren in der Brusttasche, verschiedenfarbig leuchtende Stifte. Mit behender Bewegung stieß er seinen Oberkörper vor, warf die Hände nach vorn und schleuderte die Sensoren umher und auf den Fußboden.
»Will!«, rief Frau Carlos und hatte plötzlich ein hochrotes Gesicht, »der Onkel will dir helfen, und du, du ...« Glücklicherweise ging ihr hier die Luft aus, und Mechin warf ihr einen verdammenden Blick zu. Die Sensorstifte waren stabil und nicht zerbrechlich, deswegen verstand er die Aufregung nicht. Möglicherweise ging es ihr gegen den Strich, dass der Arzt ungebührlich behandelt wurde und wenig ehrerbietig. Da war sie wieder, diese Angewohnheit, den einzigen, wertvollen Arzt wie einen Hohepriester oder so was zu behandeln. Der Kleine wurde Mechin plötzlich sympathisch. Für ihn war der Doktor weder Gott in Weiß noch irgendetwas Höhergestelltes. Bloß ein Eindringling, den es zu bekämpfen galt.
»Bitte«, sagte Mechin, an die Eltern gewandt, »nennen Sie mich nicht Onkel vor dem Kleinen. Er könnte auf den Tod krank sein, das wissen Sie so gut wie ich, deshalb will, nein, muss ich ihm in den Hals sehen. Es könnte eine harmlose Erkältung sein. Ich bin also meinetwegen alles Mögliche, nur kein Onkel!« Er war deutlich lauter geworden, als er gewollt hatte. Die Eltern sahen ihn verdattert und verlegen an. Will, der aufs Genaueste zugehört hatte, begann tiefer und rascher zu atmen. Das ist ein
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