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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Alarmzeichen, dachte Mechin. Kinder in diesem Alter sind fähig – und manchmal tun sie es –, durch übermäßige Atmung Hyperventilation und damit eine Übersättigung des Blutes mit Sauerstoff herbeizuführen. Das kann bis zum epileptischen Anfall gehen, ohne dass das Kind ein Krampfleiden hat. So etwas musste verhindert werden. Mechin legte den Eltern also dar, dass er zu Wills eigner Sicherheit nachschauen müsse, ob der die Pseudo-Diphtherie habe oder nicht; dass er es mit Gewalt versuchen müsse, da der Junge sich darauf versteife, den Mund nicht aufzumachen; dass er sie bäte, ihre Einwilligung zu diesem Notmittel zu geben; dass nicht er selbst als Arzt Entscheidung und letztes Wort in dieser Sache beanspruche, sondern ihnen, den Eltern, dies zugestehe; dass er keinerlei Verantwortung für die Folgen dieses Beschlusses übernehmen könne, wenn sie die Halsuntersuchung ablehnten.
    Carl senior sah zu seiner Frau. Die hob die Schultern. »Wenn du jetzt nicht endlich den Mund auftust«, sagte sie zu Will, »dann musst du mitgehen in die Krankenkammern oben, verstehst du das?«
    Mechin sah die Eltern bei diesem zum Scheitern verurteilten Erpressungsversuch an, ohne dass sie es bemerkten, und dachte, dass diese hektischen und verlegenen Erwachsenen da, die nicht wussten, was zu tun sei mit dem störrischen Kind, für den kleinen Jungen sicher einen lächerlichen Anblick boten. Mit ihren Drohungen und hilflosen Gebärden waren sie ein Schauspiel, nichts Ernsthaftes. Will sah aus, als hege er in seinem kleinen trotzigen Kopf ebensolche oder ähnliche Gedanken. Welcher Erwachsene kann wissen, was in einem Kinderschädel vor sich geht? Man weiß es eben nicht, und das ist gut so.
    Die Eltern, über die sich Will und der Doktor mit kurzem und verschwörerischem Blick verständigt hatten, wurden immer unentschlossener, konsequenzloser und hinderlicher, als sie Mechin bei den Versuchen, Will zu bändigen, unterstützten – besser gesagt, zu unterstützen versuchten. Carl Carlos half, als Mechin anfing, Will mit Gewalt den Mund zu öffnen. Der Mann war stark, wenn auch nicht so muskulös wie ein Karnese, und er war guten Willens. Er lebte allerdings in ständiger Angst um seine Kinder; egal ob eigene oder angenommene. Er ließ stets im falschen Augenblick los, weil er das Gefühl hatte, er tue dem Jungen weh oder verletze ihn. So gewann immer und immer wieder das Kind, in dessen Augen jetzt nicht mehr Wut und Trotz, sondern allein höllische, wahnwitzige Raserei und Furcht standen. Dann ließ Carl senior die Arme hängen und schaute Mechin an. Der Vater bat, es noch einmal zu versuchen; immerhin wäre es möglich, dass es Pseudo-Diphtherie sei. In den Augen des Mannes standen Tränen, die er wegzwinkerte. Frau Carlos ging auf und ab, aus dem Zimmer hinaus, wieder hinein, sie durchquerte nacheinander alle Räume unter dem Käferdach. Jeder hörte ihre Schritte durch das gewohnte Rieseln des Regens hindurch. So verbreitete sie zusätzlich Unruhe.
    Will hatte Charakter, das stand fest. Mechin bat die Frau, Wills Arme zu ergreifen und festzuhalten. Der Junge hatte angefangen, sich hart gegen die verzweifelten Helfer zu wehren. Sein Mund war fest geschlossen. Als seine Mutter den Oberkörper des Kindes umschlang, sein Vater den Kopf und der Arzt die Hände frei hatte, um sich um die aufeinandergepressten Kiefer des Jungen zu kümmern, begann Will mit ungeahnter Kraft zu toben. Er warf seinen Körper hin und her, trat mit den Füßen aus und entfaltete eine Kraft und Aktivität, wie sie manch gesundes Kind in diesem Alter nicht aufbringen konnte. Dazu schrie Will, mit geschlossenem Mund und in grellen Tönen, wie sie Mechin nie zuvor von einem Menschen gehört hatte. Es war furchtbar. Schnell verloren die Eltern bei dem markerschütternden Geschrei die Nerven – was ja wohl der Zweck des Gebrülls gewesen war. Die Mutter lief schluchzend aus dem Raum. Diesmal kam sie nicht wieder, und Mechin war ihr dankbar dafür.
    Der Arzt zeigte dem Vater, wie er das Kind festhalten sollte, und schärfte ihm ein, er solle nicht loslassen, auf keinen Fall. Dann nahm er ein flaches hölzernes Stäbchen, wie die Jungs es nach unbeholfenen Zeichnungen geschnitzt hatten. Ein Spatel sollte das sein, hergestellt aus einheimischen Hölzern und hinten im Gebirge sterilisiert, wo es eine Quelle starker Gammastrahlung in der Nähe eines zerschellten Landeschiffes gab; die Leute ließen per Seil Pakete solcher Spatel in die vor Radioaktivität

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