Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Will an. Er war jetzt drei Kilometer von der Siedlung entfernt, war die ganze Strecke getrabt. Sein Atem ging kaum schneller. Er kletterte gewandt auf das kleine, aus Trümmerteilen zusammengeschweißte Türmchen hinauf und sah zur Siedlung zurück. Ein paar Lichter vor einer düsteren Masse, mehr war nicht zu sehen. Die Lichter markierten den Weg zum Hauptlager, das sechs Kilometer weit weg lag, in dem es die Schule gab und die Regierung, wo die Einarmige Eliza lebte und der Arzt, den Will auf den Tod nicht leiden konnte. Der Teufel mochte wissen, warum. Nicht deswegen schaute er zurück. Er sah auf die dunkle Masse, die sich wie ein Gebirge hinzog. Will konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Trümmerhaufen ein Schiff gewesen sein sollte, das sie alle hierhergebracht hatte. Er selbst war damals so klein gewesen, dass er sich an nichts erinnerte. Die wenigsten in der Schule taten das, und die meisten waren nach diesem sagenhaften Ereignis zur Welt gekommen. Die Erzählungen der Erwachsenen über dieses von ihnen leidenschaftlich geliebte Thema erschienen sonderbar – unwahrscheinlich und bizarr, von einer blassen Unwirklichkeit. Die Regendrachen waren dagegen fast greifbar und real. Was die Erwachsenen berichteten, war märchenhaft wie ein Tag ohne Regen. Sterne, die jede Nacht sichtbar blieben, statt einmal oder zweimal im Jahr als blasse Lichtpunkte zwischen den Wolken zu erscheinen. Stundenlang nur Sonnenschein, Gegenden völlig ohne Wasser, Maschinen auf den Straßen zwischen den Sternen, und komplette Welten vollgestopft mit Menschen und ihren Wohnungen; das klang mehr nach einer seltsamen Art von Zeitvertreib als nach Wirklichkeit. Dazu dieses komische Spiel, das »Funkstation« hieß und über das die Großen fast genauso lange reden konnten wie über die VILM VAN DER OOSTERBRIJK. Es lief darauf hinaus, dass irgendwann ein Ding kommen sollte, von jenseits der Regendrachen, so etwas wie dieser Trümmerhaufen, nur nicht so kaputt. Das würde sie alle mitnehmen. Will glaubte das nicht, weil er es nicht glauben wollte. Wie groß sollte irgendeine von Menschen gemachte Sache wohl sein, um sie alle hier wegzubringen? Und: Wozu sollte er hier weg? Und die Regendrachen ... Bevor er nicht wusste, was so ein Regendrache trieb außer dem Regenmachen und wie er aussah – vorher würde er nie fortgehen von hier. Wohin überhaupt?
Will sah in die andere Richtung. Da war es, jenes eine Spur lichtere Grau, das den nahen Sonnenaufgang ankündigte. Es blieb noch genügend Zeit. Will nahm die Flinte quer vor die Brust, schwang sich über das niedrige Geländer und sprang die vier Meter hinunter, bei der Landung geschickt abrollend. Als er auf die Beine gefedert war, sah er stolz hinauf. Es sollte Menschen geben, die auf einer riesengroßen und eiskalten Welt namens Karna lebten und so unglaublich stark waren, dass sie diese Höhe mit einem einzigen Sprung erreichen konnten. Diese Erwachsenen kannten schon irre Geschichten, dachte Will, ehe er sich wieder in Trab setzte. Ein wenig langsamer, hier in der Nähe war vor zwei Tagen der angeschossene Springwolf entwischt. Außerdem musste er bei der allmählich zunehmenden Helligkeit mit dem Erwachen diverser Tiere rechnen, und die Klebeblüten würden sich entfalten. Ein gellender Schrei ließ Will zusammenfahren, er wurde langsamer und musste lachen. Dass er sich von diesen dummen Tieren immer noch erschrecken ließ! Er blieb stehen und suchte nach der Schreile, die ihn angebrüllt hatte. Da saß sie, zusammengekrümmt, in einem aufragenden Astgeflecht des nächsten Gestrolchs. Die kleinen Mäuler an den Enden ihres Körpers hatten sich ganz nah beieinander an einem Ast festgebissen, die Beinchen ruderten träge, und die beiden Augen auf Wills Seite blickten ihn stumpf an. Das Tier war dabei aufzuwachen. Eigentlich erstaunlich, wie ein so kleines Wesen einen derart markerschütternden Lärm fertigbrachte. Die Schreilen waren weder nützlich noch schädlich, man konnte nichts mit ihnen anfangen, als sie abzuschießen. Will stellte die Flinte auf Laser und durchbohrte mit dem nadelfeinen Strahl zwei-, dreimal die Nervenzentren des Tieres in der Mitte des Rückens. Ein zweiter Schrei wurde klägliches Quieken, die Äuglein platzten und rannen als schleimige Tropfen durchs Fell. Die Beinchen krampften, die Mäuler öffneten sich weit, als wollten sie einen letzten Schrei ausstoßen. Das Tier fiel, sich überschlagend, zu Boden. Will wandte sich ab. In wenigen Minuten würden die
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