Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
seinem Sessel aufgestanden war und mit großen Augen zusah. Dann schaltete Adrian das Solarium ein. Zuerst ein dünnes Summen, ehe mit hartem Knackgeräusch die elf Leuchtstäbe ansprangen, die das Solarium enthielt. Es war, als sei die Sonne selbst mitten im Nieselregen aufgegangen. Ein grelles Licht, das in die Erinnerung gehörte und nicht einmal dort so hell war; dieses Licht war Teil einer vergessen geglaubten Welt, aus der es sich hierher verirrt hatte. Die in der Luft schwebenden Wassertröpfchen des Geniesels brachen das Licht, sodass die Leuchtstäbe und Annas Gestalt von einer Aura strahlender Regenbögen umgeben wurde. Ein Schleier aus buntem Licht und blitzenden Farben hüllte die Frau ein, die sich vor dem Solarium langsam drehte, mit geschlossenen Augen, weil sie unfähig war, die plötzliche Helligkeit zu ertragen. Die Regendrachen öffneten ihre Augen und starrten ins Licht.
Später wunderten sich alle, dass das Ganze nur fünf Sekunden gedauert haben sollte. Annas Körper, hinter all dem Geflimmer und Leuchten plötzlich wieder schön, wie er sich vor dieser kleinen Sonne drehte, die wie ein Riss in der trübfeuchten Wirklichkeit Vilms wirkte. Für diese Zeit sah sie wieder aus wie jenes lachende fremde Wesen auf der zerbröselnden 3-D-Aufnahme. Dieser Aufgang der verlorenen irdischen Sonne in der Regenwüste Vilm; nur fünf Sekunden? Aber da war eine Uhr am Solarium, und die wies unbestechlich fünf Sekunden aus.
Ein jähes Aufflammen und ein peitschender Knall beendeten das Schauspiel. Irgendwo in der Schaltung des Gerätes hatte die wassergesättigte Luft doch einen Kurzschluss hergestellt, Adrians Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz, und ehe Leuchtstäbe platzen konnten, zerstörte eine rasche Flamme die elektronischen Eingeweide. Eine Rauchwolke stieg auf, schwarz und fettig und beißend. Das pastellfarbige Material des sterbenden Solariums warf Blasen und verformte sich.
Anna war schnell zu ihren Sachen gegangen und hatte sich wieder darin eingewickelt. Adrian und Francesco sahen einander wortlos an. Francesco brachte es trotz des Größenunterschiedes fertig, den anderen wie von oben herab anzuschauen. Alle zwei verbuchten das Geschehen als Bestätigung: Beide hatten sie recht gehabt, wenigstens teilweise.
Als die Männer seit zwei geschlagenen Minuten stumm in die verschmorten Elektronikblöcke schauten und sich nicht den geringsten technischen Disput erlaubten, kam Anna, verhüllt wie immer, aus der Unterkunft. Sie trug einen kleinen Koffer, den sie vor Tagen gepackt haben musste. Ihre Stimme verriet, verunstaltet wie sie war, ihre Gefühle und den Aufruhr in ihren Innereien nicht. »Ich habe es mir überlegt, Francesco«, sagte sie.
Ihr Mann zuckte zusammen und sah seine Frau ungläubig an. Adrian ließ den Deckel des vernichteten Apparates fallen.
»Ich habe mich erkundigt«, sprach Anna weiter, »für mich ist auch noch Platz in den neuen Unterkünften.« Sie ging an Francesco Calandra vorbei in Richtung des Lagers. Er sah ihr nach. Sie hielt sich aufrecht wie eine verstoßene Prinzessin. Sie wirkte stolz und unnahbar. Niemand konnte ahnen, dass ihre arrogante Haltung allein auf die Krämpfe zurückzuführen war, die ihr Inneres zerfleischten. Eine etwas weniger aufgerichtete Körperhaltung würde Anna in ein jammerndes Bündel verwandeln, würde sie schreien lassen und blutigen Schaum aus ihrem Mund treiben.
Adrian wusste nicht recht, was er tun sollte. Anna folgen oder irgendetwas zu Francesco sagen? Nein. Beides war vollkommen daneben. Er fing stattdessen an, den Apparat auseinanderzunehmen, als ob da etwas zu retten wäre. Natürlich waren alle Innereien des Geräts hoffnungslos verschmort. Adrian starrte in das geschwärzte Durcheinander und sah nichts.
Nachher, als alle Neugierigen gegangen waren, saß Francesco allein in dem überdachten Raum vor der Unterkunft. Es gab eine Menge Platz. Das 3-D-Bild zweier lachender Menschen mit Sonnenbrillen und gelben Shorts hing drinnen an der Wand. An den Rändern fraß die Feuchtigkeit Vilms am Material und löste das räumliche Bild in fraktales Geflimmer auf. Immer mehr Palmen und ein Badelustiger nach dem anderen und der ganze Strand von Bahia de Janeiro verschwanden langsam im Nichts. Francesco Calandra wohnte von heute ab allein hier. Er hatte irgendwo den kleinen bunten Frosch gefunden und zog ihn wieder und wieder auf. Das blecherne Ding hüpfte sinnlos umher und stieß dauernd gegen die Trümmer der universellen Steueranlage,
Weitere Kostenlose Bücher