Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
Vom Netzwerk:
mit ihm, sondern mit dem Will, der er bis vor Kurzem gewesen war. Zwar wusste er nicht genau, was den einen vom anderen unterschied – beide waren genau so mollig wie Will es immer gewesen war –, aber er spürte gut, dass es einen wesentlichen Unterschied gab. Der Will, den er in seinen Erinnerungen fand, existierte nicht mehr. Und er erschien ihm seltsam flach und arm und nicht so sehr von dieser Welt.
    Als die acht Läufer in Sichtweite des Lagers kamen, blieben sie stehen, als hätten sie einen Befehl erhalten. Sie schauten durch den Dunst auf die Behausungen hinunter, und die Gegenwart so vieler erwachsener Menschen verursachte einen schwindelerregenden Eindruck, als ob dort ganze Stücke der Landschaft herausgebrochen und von einer schmerzhaft anzuschauenden Leere ersetzt worden wären. Allen war klar, dass diese Leute mit dem finsteren Nichts in ihren Köpfen auf keinen Fall irgendetwas von dem erfahren durften, was heute geschehen war. Zumindest jetzt nicht. Später. Mal sehen. Noch besser, sie würden es irgendwann selbst merken. Also entfernten sich die Kinder den Hang hinunter, während die wolfsgroßen Sechsfüßer oben sitzen blieben und die breiten Köpfe auf ihre Vorderpfoten legten. Sie ließen die Kinder nicht aus den Augen, bis ihre kleinen Gestalten nicht mehr von den Schatten der künstlichen Dinge da unten unterscheidbar waren. Das unsichtbare Licht blieb einfach so, wie es war. Jung und stark und fast völlig unerforscht.
    Von diesem Tage an waren Tom und Sdevan und Will und Marja nicht nur unzertrennlich, eine Viererbande eben, sie waren auch unzertrennlich in einem anderen Sinn. Jeder der vier hatte von diesem Tag an die Fähigkeit, ein ganz bestimmtes Eingesicht unter tausenden herauszufinden, und es gab ein Band, das über alles hinausging, was sie mit Worten hätten ausdrücken können. Das verstanden sie erst später, auch, was die Regendrachen mit all dem zu tun hatten.
    »Davon dürfen die Erwachsenen nichts wissen«, sagte Will unten zwischen den Hütten und sah Tom an, den Einzigen unter ihnen, bei dem er sich nicht sicher war, ob er die Klappe halten würde. Tom war mehr verdutzt als beleidigt. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, den Großen davon erzählen. Sdevan und Marja spürten das in demselben Augenblick wie Will, und das Thema wurde nie wieder erwähnt.

14. Drei Palmen über dem Atoll
    Juanita Cass bemühte sich wie jeden Tag, nicht aus dem Fenster zu sehen, und wie immer vergaß sie ihre Absicht irgendwann im Laufe des Vormittags. Sie warf einen flüchtigen Blick hinaus. Langsam schoben sich matte schlappe Wolkenberge über die von feinem Nieselregen verhüllte Gegend, und Juanita starrte die quellenden Wolken missmutig an. Als wäre irgendwo ein brodelnder Topf, aus dem unaufhörlich Wolken überkochen, dachte sie. Und es regnet. Na fein, es regnet. Was sonst auf diesem verdammten Planeten. Dieses nässetriefende trübe Loch, das Vilm genannt wurde und in das manche Leute Kinder setzten, als wären nicht genug von den armen Dingern mit dem verunglückten Raumschiff auf diese hässliche Welt gelangt. Zornig ergriff Juanita den erstbesten Gegenstand und schleuderte ihn mit Schwung gegen das Fenster. Das Keramiktöpfchen zerscherbelte mit hässlichem Klang an der undurchdringlichen Scheibe und fügte den kaum sichtbaren feinen Kratzern einen weiteren hinzu.
    »Auweia«, sagte jemand hinter ihr. Juanita drehte sich nicht um. Das war Tonja, zweitältestes Kind in dieser zusammengewürfelten Familie, acht Jahre alt, für ihr Alter zu groß, etwas zu aufgeweckt und auf jeden Fall erheblich zu frech.
    »Was willst du, hm?«
    »Raus, spielen. Darf ich?«
    Juanita wandte sich zu Tonja und sah das Mädchen an. Sie verstand nicht, was die Kinder daran fanden, aus den trockenen Unterkünften hinauszulaufen in Matsch, Nebel und Nässe. Gut, sie kannten nichts anderes. Und wenn sie sich überhaupt an das Leben vor der Katastrophe entsannen, dann waren das für die Kinder Märchen, die zweifelnd geprüft und verworfen wurden. Tonja war nicht alt genug, um sich an etwas anderes als Vilm zu erinnern. Oh Gott, dachte Juanita, mögen die Päpste mir vergeben, aber hätte nicht einer von euren Heiligen wenigstens die Kinder retten können – vor dem hier? »Zieh dich ordentlich an«, sagte sie und bückte sich, die Scherben zusammenzusuchen. Sie spürte eine sachte Berührung. Tonja hockte neben ihr und sammelte hurtig Splitter, legte sie in ihre ausgestreckte Hand. Dann stupste sie

Weitere Kostenlose Bücher