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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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großer Begeisterung. Juanita kannte den Geschmack des hiesigen Obstes nicht; sie hatte es nie probiert. Allein bei dem Gedanken wollte sich ihr der Magen umdrehen. Und die Kinder entdeckten hin und wieder neue Sorten; irgendwann würde man Juanita die siebzehnte stockhässliche Sorte einheimischer Früchte präsentieren. Und ihr würde furchtbar schlecht werden bei dem Gedanken, in das Ding hineinzubeißen. Sie zog es vor, an eine frisch gebrühte Tasse serafimischen Kaffees zu denken, mit einem Schuss Sahne darin, dampfend und so heiß, dass sie sich die Lippen verbrühte, wenn sie vorsichtig vom Rand des Porzellans her nippte.
    Langsam legte sie die engen Sachen ab, die sie so gern trug. Sie hasste es, ihre Figur in den unförmigen Klamotten zu verstecken, die auf Vilm lebenswichtig waren, um Lungenentzündungen oder Schlimmeres zu vermeiden. Nur kurz, wie um sich zu vergewissern, sah sie in den Spiegel. Sie hatte ihr Gewicht gehalten, konnte noch immer stolz sein auf ihren flachen Bauch und die kleinen Brüste. Sie war nicht auseinandergegangen wie die meisten anderen. Hinter sich sah sie die pastellfarbene Wand des Raumes im Spiegel. Sie hatte alles entfernt, was ihr den Blick auf diese lindgrüne Farbe verdeckte, Poster und so weiter. Alles war besser als das unaufhörliche Grau da draußen. Juanita stieg rasch in die erste Pelle, wie sie es abschätzig nannte. Dann klappte sie den Spiegel zu. Sie konnte diesen Anblick nicht ertragen. Die dreifache Unterwäsche. Die wulstigen, doppelt gefassten Nähte. Die giftige Farbe der Zwischenschicht, die Wasser absorbieren sollte. Den verknautschten glänzenden Stoff des Overalls mit den vielen Doppelverschlusstaschen. Diese ganze elende vilmsche Montur.
    Die Uhr piepste. Es war Zeit. »Ich komm ja«, murrte Juanita, und als sie den Gang hinunterlief, an den Zimmern der Kinder vorbei, erhaschte sie aus Versehen einen Blick in den Flurspiegel und auf das unförmige, teddybärähnliche Etwas, in das sie sich verwandelt hatte. Es schüttelte sie. Dienstag war ein furchtbarer Tag für sie, der Tag, an dem sie hinaus musste in den Schlamm, die Feuchtigkeit, die wattige Luft, das flüsternde Getröpfel, den matten Wind, die Kälte, die stumpfen Farben, den Nebel. Der Tag, an dem sie in Gefahr war, missgestalteten Pflanzen und völlig falsch aussehenden Tieren zu begegnen – Rehschweinen mit dem Körper eines Mopses und den Beinen eines Windhundes oder den Springwölfen, die wie verrückt gewordene Gummibälle durch den Regen hüpften. Sie wollte die widerlichen Kreaturen dieser Welt nicht sehen müssen, die allesamt zwei Köpfe und kein Hinterteil hatten. Schreilen, die markerschütterndes Gebrüll ausstießen; Zimtschnecken, die zähen farbigen Kleister in den Pflanzen hinterließen; Astwürger, die sich bemühten, die Blattwürmer zu fressen, die wiederum die missfarbenen Früchte aus den Gestrolchen vertilgten. Das alles war der alltägliche Horror dieses Planeten. Jeden Morgen beim Aufstehen hätte sie ihn am liebsten in irgendeinen anderen verwandelt gefunden. Der einzige Fleck an ihrer Kleidung, der nicht die Farbe feuchten Schlamms hatte, war früher einmal richtig bunt gewesen: das verblichene Logo der OOSTERBRIJK.
    Juanita tippte ihre Kennung in den Türwächter, der die Zeit ausdruckte und weitermeldete wie jeden Dienstag. Schließlich war sie draußen und schloss sofort fest die Augen. Sie fühlte, wie winzige laue Regentropfen ihr Gesicht berührten, sich sammelten und herabrannen. Tränen, vielleicht Tränen. Aber Tränen sind salzig. Beim ersten Schritt zuckte sie zusammen, weil sich die Sohlen der hohen Stiefel laut schmatzend vom Boden lösten. Nun musste sie die Augen öffnen und die Hand gegen den Mund pressen. Der jäh aufsteigende Brechreiz musste unterdrückt werden. Immer dasselbe. Immer dieses Gefühl, sie würde gleich aufwachen und über den dummen Traum lächeln. Dann könnte sie über staubigen Sand laufen, ein trockener Wind würde am Hemd zerren, und die Sonne würde groß und heiß auf die Schultern herabbrennen. Die Lichtfülle würde auf dem Strand liegen, ein greifbarer Körper aus Hitze, und kaum sichtbare Schweißperlen würden aus den Poren der Haut dringen, während die Fußsohlen wegen des glühenden Sandes Verbrennungsgefahr meldeten. Stattdessen sah sie dumpffarbene Vegetation, vom Nieselregen getrübte Luft, die dunkelgrau und hellgrau gestreifte Wolkendecke, den zähen Schlamm mit den Spuren der Kinderschar, und eine ebenso kalte wie

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