Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
nasse Brise berührte ihr Gesicht. Jedes Mal ein Schock. Zähneklappernd ging sie weiter. Den Weg kannte sie, obwohl sie ihn nur einmal in der Woche ging, jenes eine Mal pro Woche, da sie die schützende Unterkunft verlassen musste.
Juanita schloss die Augen, wenn sie irgendwelche Tiere sah, die sich in den verfilzten Gewächsen zu schaffen machten. Dieses Viehzeug war plump, so unsagbar hässlich mit seinen zwei stumpfsinnigen Köpfen, und so dumm, wenn es durch die feuchten Äste der Pflanzen kroch. Wie alles hier nass, abstoßend, feucht, dumpf, dumm und ekelhaft war. Du musst hier leben, hatte Mechin, der Arzt, zu ihr gesagt, ob du es willst oder nicht, es bleibt dir nichts anderes übrig, du musst das annehmen, diese Welt, sonst gehst du kaputt. Nasser Quatsch, dachte sie im Weitergehen, bemüht, nicht auf die satt schlappenden Geräusche ihrer Schritte zu hören. Nasser Quatsch; das war das schlimmste Schimpfwort, mit dem sie verdammen konnte, was mit dieser widerwärtigen Wirklichkeit zu tun hatte. Sie würde noch ersticken an dieser Wirklichkeit.
Etwas berührte sie weich von der Seite und trottete neben ihr her. Das Eingesicht, das sie beim letzten Mal begleitet hatte, war wieder da, und als Juanita sich umsah, entdeckte sie eine stattliche Anzahl davon. Ein Dutzend oder mehr mochten es sein. Noch nie hatte sie so viele von ihnen zusammen gesehen. Die Tiere waren, wenn kein Trost, so doch das einzig Erträgliche hier. Vor allem hatten sie nicht die überaus irritierende Zweigesichtigkeit der restlichen Fauna Vilms. Sie erinnerten Juanita an den großen alten Schäferhund, den ihre Eltern gehabt hatten und der ihr für ihre ersten Plastiken Modell gelegen hatte. Augenblicklich fühlte sich die junge Frau beruhigt, und die Wanderung wurde ihr leichter. Sie wurde nicht einmal ohnmächtig, als sie in der Senke auf glitschigem Boden ausrutschte und sich mit der Faust abstützen musste, die bis übers Gelenk im Modder versank. So war sie weit vor der Zeit am Treffpunkt, zog die zusammengefaltete Plastikplane aus einer der Taschen, breitete das Ding aus wie eine Stranddecke im Sommer – im wirklichen Leben – und setzte sich. Die Eingesichter kauerten sich an die dicht stehenden Pflanzen. Es war völlig still – abgesehen vom Tröpfeln an Ästen und Zweigen, dem feinen Klang des Regens und ihrem eigenen Atem. Von den fremden Tieren kam kein Geräusch, als seien sie nicht da.
Juanita glitt automatisch in ihren liebsten Traum, auf ein Fleckchen Sand, das von strahlendem Sonnenschein aufgeheizt war, wo sie im spärlichen Schatten dreier Palmen sitzen konnte und den Blick auf die Lagune des Atolls hatte, in der das Wasser warm und still und flach lag und über dem die heiße Luft flimmerte. Das war ganz einfach. Sie öffnete die Augen und warf einen Blick auf die Uhr. Mit geschlossenen Augen durfte man sie nicht erwischen, das galt dann nicht. Die Eingesichter waren nahe herangerückt, Juanita hätte sie berühren können, aber wozu.
Erst als ihr der Schweiß ausbrach, sprang sie auf und fuhr sich verwirrt mit bebenden Händen übers Gesicht. Im grellen Sonnenlicht trockneten die Schweißtropfen augenblicklich, neue traten an ihre Stelle. Von jenseits der Dünen trug der heiße Wind sachtes Wellenrauschen heran. Noch ehe sie überlegen oder einen klaren Gedanken fassen konnte, öffnete Juanita die Verschlüsse des Overalls, fingerte die Verschnürung der Stiefel auf, schlüpfte aus der Pelle und warf den Plunder mit gehässiger Freude in den Sand. Voller Angst, aus dem Traum zu erwachen, stellte sie sich nackt in die Sonne und ließ das Licht auf ihren weiß gewordenen Körper prallen: das altbekannte und beinah vergessene Gefühl der Wärme, als habe man die Haut mit dünnen glühenden Tüchern verhüllt. Wunderbar, wenn es denn mehr wäre als ein Traum. Sie legte den Kopf in den Nacken und riss mit einer willentlichen Kraftanstrengung die Augen auf. Sie erwartete einen gräulichen Himmel, durchdringende Nässe, missfarbene Gewächse und bedrückende Dumpfheit. Stattdessen fuhren ihr gleißende Sonnenstrahlen in die Augen, ließen regenbogenfarbene Kreise sprühen und tanzen. Sie tanzten noch, als Juanita ungläubig auf die Lagune starrte. Die Sonne im Rücken, ging sie hinunter an das glatt daliegende Wasser, das es doch nicht geben konnte. Als sie sich umdrehte, musste sie ihr Gesicht mit der Hand beschatten. Da waren sie, die drei fast verdorrten Palmen, um die herum Juanitas vilmsche Montur lag, achtlos
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