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Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)

Titel: Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Juanita mit der Stirn ein bisschen an, Böckchen spielen nannten sie das. Die Kleine lief hinaus, und Juanita versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, was sie alle miteinander in diese ekelhafte Welt draußen zog.
    Durchs Fenster konnte sie die Schar der Kinder sehen, die Tonja abholen wollten. Einige Eingesichter waren dabei. Juanita hatte versucht, den Tieren den Namen »Hund« anzuhängen, war damit jedoch auf keine Gegenliebe gestoßen. Die Kinder kamen mit den fremden und Juanita ein wenig unheimlichen Tieren gut zurecht – auch Eingesichter waren verspielt. Neuerdings sah man eigentlich gar keine Kinder mehr, ohne dass diese Viecher in der Nähe waren.
    »Da bin ich!«, rief Tonja.
    »Hast dich mächtig beeilt«, sagte die junge Frau und musterte die für ihr Alter recht stämmige Tonja, die sich wie im Stillgestanden vor ihr aufgebaut hatte. Sie trug etwas, das zwar praktisch war, Stil und Passform allerdings vermissen ließ. Die Klamotten fertigten geschickte Hände aus Material an, das man aus dem Gebirge holte, und die Schnitte waren Erbteile des Weltenkreuzers, so weit es ging an die rasch wachsenden Kinderkörper angepasst. Allerdings machte sich niemand mehr die Mühe, diese kleinen Namensschildchen anzufertigen und aufzunähen, an die alle von früher her gewöhnt waren. Nur die Erwachsenen trugen die mittlerweile verblichenen Logos der OOSTERBRIJK und ihre alten Identifikationen. Mit geübten Handgriffen prüfte Juanita, ob der nässeabweisende Overall richtig saß und die Stiefel fest verschnürt waren, obwohl sich das Mädchen niemals erkältete. Mit der flachen Hand rubbelte sie die kurzen Haare Tonjas, ein altes Zeichen zwischen ihnen, das so viel wie »nun lauf« bedeutete. Sie sah durchs Fenster und beobachtete die Meute draußen, die Tonja lautstark begrüßte und im Nu zwischen Nebel, Nieselregen und den schütteren Gestrolchen verschwunden war.
    Nachher würde Juanita selbst hinausgehen müssen. Es war Dienstag. Bei dem Gedanken schnürte sich ihre Kehle zusammen. Sie stammte von einer der inneren Welten, aus einer heißen, sonnigen Gegend, und dieser ewig tröpfelnde und von nichts als Matsch bedeckte Planet schlug ihr aufs Gemüt. Rasch wandte sie sich ab und werkelte an ihrem Arbeitstisch weiter. Hubert brachte ihr regelmäßig Portionen von den tonähnlichen Erden mit, die es am Kahlen Hang gab, und sie mischte Brennmassen daraus, brannte allerlei Keramiken. Das war Juanitas erlernter Beruf. Hubert meinte, das gebe ihr das Recht, hin und wieder welche von ihren Werken zu zerschmeißen. Sie wusste es besser. Ihr wurde schlecht, wenn sie daran dachte, wie Hubert heute Abend heimkommen würde, pitschnass bis auf die Haut, durch vier dicke Schichten Kleidung hindurch, und sie grinsend fragen würde, ob sie ihren Besuch gemacht hätte. Diesen dreimal verfluchten Besuch. Sie schloss die Augen und blieb steif stehen. Die Gänsehaut bildete sich an Armen und Beinen gleichzeitig. Krampfhaft zog sich Juanitas Körperoberfläche zusammen, ihre Brustwarzen verwandelten sich in schmerzende Kiesel, und tief innen stieg die altbekannte panische Angst auf, spülte alle Gedanken weg und ließ nichts übrig außer einem kleinen Mädchen, das sich in einem grauenvollen gesichtslosen Alptraum wand. Juanita biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte jetzt nicht schreien. Nicht schon wieder. Es tat weh. Sie machte die Augen auf. Ihre Lippe blutete. In ihrem Hals schlug heftig der Puls. Hinter der Stirn summte es. Juanitas Blick streifte die Uhr. Sie musste über eine halbe Stunde im eisernen Griff der Furcht zugebracht haben. Sie hatte dagestanden und nichts weiter getan als Angst gehabt. Es wurde Zeit. Zeit, sich anzuziehen und hinauszugehen. Hinaus. Dem Grausen entgegen.
    Sie ging in ihr Zimmer, das sie bewohnte, seit sie dem Dritten Dorf zugeteilt worden war. Nebenan befand sich der große Raum, wo Hubert mit Tonjas Mutter gelebt hatte, ehe die Frau bei einem Unfall im Gebirge starb. Hubert hatte Juanita nie gedrängt, im Nebenraum, wo er selbst schlief, für ihn die Stelle der Toten einzunehmen, wie sie es in fast allen Dingen für das Mädchen getan hatte. Dort stand eine große Schale mit vilmschem Obst, dessen sechzehn bekannte Sorten Hubert recht demonstrativ immer bereithielt. Juanita könnte jederzeit zugreifen, wenn sie wollte. Die Dinger sahen zwar abscheulich aus, sollten jedoch ausgesprochen schmackhaft sein. Jedenfalls sagten das alle Leute, und die Kinder verputzten das missfarbene Zeug mit

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