VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
wie vor das größte Rätsel.«
»Nicht nur für euch«, knurrte Carl.
»Und eines dieser Experimente ist schiefgegangen«, sagte Will leise. »Wir können es nicht beenden. Und zu Mechin können wir damit nicht gehen.«
Carl warf seinem jüngeren Bruder einen mitleidigen Blick zu. Du meinst, du kannst damit nicht zu Mechin gehen, dachte er, du kannst überhaupt nicht zu Mechin gehen. So lange ich denken kann, gehst du doch dem Mann immer aus dem Weg. Laut sagte er: »Wie soll ich euch helfen?«
»Du versuchst, den Mechanismus zu erforschen«, sagte Will und sah seinem Bruder mit vier Augen ins Gesicht, »den Mechanismus, der dir fehlt. Und eventuell hast du eine Chance, unseren Leuten zu helfen.«
Ohne nachzudenken, legte Carl seine Hand auf den Kopf eines Eingesichts, das wie selbstverständlich neben ihm aufgetaucht war. Will fuhr erschrocken zurück und wirbelte herum. Sie waren umringt von Eingesichtern, und alle schauten mit großen Augen zu, wie Carl eines von ihnen kraulte, als wäre es wirklich nur ein Hund.
»Was tust du da?«, zischte Will. Er traute sich nicht, laut zu sprechen. Die Anwesenheit all dieser Wesen war ihm unheimlich. Nun ja, denke es schon, ermunterte er sich selbst, du hast Angst vor denen, vor den wilden, den anderen; in seinem Innern stritten Belustigung und Furcht.
»Ich hab vorhin fast gedacht, du wüsstest es«, sagte Carl und kraulte mit der anderen Hand das nächste Tier. Jetzt drängten sie sich dicht um ihn.
Will sah Carl verblüfft an. »Was? Ich verstehe nicht ...«
Der große Bruder feixte Will an und schnitt eine Grimasse, genau wie er es vor einigen Minuten in seinem Zelt getan hatte.
»Dum-bidum-didum«, sagte er, »es macht mir Spaß, dass du nicht alles weißt. Vor allem, dass du nicht einmal über dich selbst Bescheid weißt. Oder über die hier.« Wills Gesicht war eine Maske ungläubigen Staunens, und Carl lachte. »Du müsstest dich jetzt mal sehen«, sagte er.
Will schaute sich selbst an, seine tierische Hälfte musterte seine füllige menschliche. Nun ja, sein verdatterter Gesichtsausdruck sah reichlich komisch aus, Will konnte trotzdem nicht darüber lachen. Er starrte wieder auf das seltsame Bild, das sich ihm bot, sein schlaksiger großer Bruder, umringt von stumm wuselnden Eingesichtern, die sich an die Beine des Mannes drängten und ihre Köpfe in seine Handflächen drückten. Es war nicht so sehr dieser Anblick, der ihn störte. Diese Tiere waren allesamt, nun ja, wild. Wills Eingesicht scheute vor ihnen zurück. Das war nicht seinesgleichen.
Carl richtete sich wieder auf. »Wir können weitergehen«, sagte er. »Sie werden uns ein Stück weit folgen.«
Zögernd setzte sich Will in Bewegung. Da gab es immer noch das Problem, dessentwegen er seinen Bruder aufgesucht hatte. Zwar wäre er am liebsten weit, weit weg von hier gewesen, und er hätte auch in kurzer Zeit weit genug rennen können; das Problem jedoch hätte das nicht erledigt. Er hatte den anderen versprochen, Carl zu holen. Carl war vermutlich der Einzige, der ihnen helfen konnte.
Die Schar schmusender Tiere folgte ihnen auf Schritt und Tritt.
Carl sah die fragenden Seitenblicke und die unbehagliche Miene seines Bruders. Er grinste. »Dum-bidum-didum«, sagte er, »das war es, was ich vorhin meinte. Neuigkeiten sprechen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten herum. Dieses Gefolge hängt mir seit einiger Zeit immer an, wenn ich mich aus dem Dunkel meiner Höhle wage.«
Will, einige Meter weit weg, in einem gewissen Sicherheitsabstand zu Carls Eskorte, warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Exakt so ist es«, sagte Carl vergnügt. »Anfangs wollte ich nur einen trockenen Platz ohne das ständige Prasseln des Regens. Funktioniert übrigens nicht, auf der Plane machen die Niederschläge kaum weniger Lärm. Dann bekam ich heraus, dass meine Anhängerschaft hier trockene und dunkle Plätze hasst wie der Teufel das Weihwasser. Ich hatte ja kaum noch meine Ruhe. Und die brauche ich, für meine Studien.« Carl wusste, dass Will und die anderen Vilmer seine Forschungen mit äußerstem Argwohn beobachteten. Sie kamen sich wahrscheinlich vor wie Schmetterlinge, die auf Nadeln gespießt und taxonomisch geordnet werden sollten. Die Erwachsenen dagegen, unverständliche Wesen aus einer längst ausgelöschten Welt, verloren kein Wort über Carls Marotte. Für sie war er ein komplettes Geheimnis, genau wie die anderen Stummblinden. »Und immer, wenn ich mein dunkles und trockenes Refugium
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