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VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

Titel: VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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verlasse«, sprach Carl weiter, »tauchen meine Freunde hier auf. Ich bin sicher, dass keiner von ihnen zu einem von euch gehört. Und sie versuchen, mir etwas mitzuteilen. Vielleicht wollen sie das werden, was ihr alle längst seid.«
    »Meinst du?«
    »Natürlich. Ich mag stummblind sein, aber die sind es nicht. Sie sind übrig geblieben. Halbe Seelen, die verzweifelt einen Homo sapiens suchen. Oder irgendwas anderes, in das sie ihre Haken schlagen können. Habt ihr nie einen Gedanken an sie verschwendet, an all die unvollendeten kleinen Genies da draußen? Es muss Millionen von ihnen geben.«
    Will schwieg. Natürlich hatten sie daran gedacht; sie hatten sogar Experimente hierzu angestellt. Mit niederschmetternden Ergebnissen. Noch niederschmetternder allerdings war der Gedanke, dass all das einem Stummblinden längst aufgegangen war. Man sollte offenbar etwas gründlicher darüber nachdenken, wer hier die Stummblinden waren. »Lukas und Toron. Unser danebengegangenes Experiment«, sagte er, »da vorn ist es.« Er wies vage auf eine Stelle zwischen den Gestrolchen; die Grenze des Dorfes hatten sie bei ihrem Spaziergang hinter sich gelassen. Carl musterte die betreffende Stelle mit zusammengekniffenen Augen; sie unterschied sich in nichts vom Rest der Landschaft. Der Regen versuchte, zwischen seine Lider zu kriechen. Um ihn herum wuselten bettelnde Tiere. Er konnte ihnen nicht geben, was sie wollten. Ein paar Schritte entfernt standen die beiden ängstlichen Leiber seines kleinen Bruders.
    »Und weiter?«, fragte Carl.
    »Dort hinten ist es«, sagte Will.
    »Bring mich hin«, verlangte der hagere Bruder. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Er wurde beobachtet. Da waren noch mehr von ihnen. Das Experiment musste gründlich danebengegangen sein.
    Will sagte einige regenprasselnde Augenblicke lang gar nichts. Dann sagte er etwas mit einer Stimme, in der nackte Furcht vibrierte. Carl verstand kein Wort, und das sagte er seinem Bruder auch. »Sie sind da hinten. Sie haben mit etwas herumexperimentiert, das die Beziehungen zwischen uns – nun ja, beeinflusst. Sie waren zu zweit, und irgendetwas ist schiefgegangen. Wir haben keine Ahnung, was passiert ist. Wer von uns hinübergeht, kommt verwirrt und voller Angst zurück, schneller, als du denken kannst. Toron, Lukas – die anderen dort sind in irgendetwas gefangen. Etwas Furchtbarem.«
    Carl drehte sich zu seinem Bruder um; das klang zu dramatisch, um zu Will zu passen, der immer so vernünftig war, so bestimmt, der geborene Anführer, wenn auch ein bisschen zu fett. Will starrte mit geweiteten Augen zu dem Gestrolch hinüber. Regentropfen rannen über sein Gesicht; er war blass, seine Augen hart. Zwischen den Gewächsen ringsum kamen langsam andere Vilmkinder hervor. Die meisten erkannte Carl kaum, so zerquält und abgekämpft wirkten sie. So sieht jemand aus, der Todesangst empfindet, begriff Carl. Leute, die in eine spezielle Hölle geblickt haben. Dies war nicht nur ein Notfall. Dies bedrohte die Existenz der Vilmkinder; stummblind oder nicht, er zählte sich selbst zu ihnen. »Die Karamelkose«, sagte Carl.
    »Ja«, erwiderte sein Bruder. Die Stimme Wills zitterte. »Wir wussten seit Langem, dass die Karamelkose irgendwas mit dem Band anstellt, das den menschlichen an den vilmschen Teil fesselt ...«
    »Und damit hat Lukas herumgespielt«, stellte Carl fest.
    »Ja. Wir können nicht hinübergehen. Es geht nicht. Das Gefühl ist zu beängstigend. Ein Sog, ein Strudel. Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären könnte ...«
    »Ausgerechnet einem Stummblinden«, bemerkte Carl.
    »Ja ... Wenn ich mich dem da nähere, beginne ich, mich zu verlieren. Als ob eine fremde Macht an meinen Gedanken zupft.«
    »Das sieht böse aus«, sagte Carl.
    »Weißt du etwas darüber?«
    »Nein«, antwortete Carl, »wahrscheinlich nicht mehr als ihr. Mir ist lediglich klar, dass ihr da mit Dingen spielt, die ihr weder versteht noch beherrschen könnt.« Bei sich dachte er: Puppen, die mit den Drähten spielen, an denen sie selber hängen. Irgendwo hinter dem verregneten Horizont gibt es diesen finsteren schwarzen Berg, hinter dem hervor ständig jene schwarzen Wolken in den Himmel steigen, die er zeugt, ein einsamer Vulkan der Geheimnisse und des Verderbens.
    Will beobachtete seinen Bruder von der Seite. »Ich kenne dich«, sagte er, »du denkst gerade Sachen, die ich gar nicht hören will. Hilf uns, bitte.«
    »Ich verstehe es nicht«, antwortete Carl, »und ich kann es nicht

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