VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
herab; der Zorn war mit Händen zu greifen, und die Zornigen wuchsen zu gigantischen Statuen. Carl fühlte sich elend. Er hätte etwas gegeben um ein paar Regendrachen. Stattdessen dies hier. Er war mitten in einer dieser Wolken, die ein finsterer schwarzer Berg zeugt, Ergebnis verborgener Machenschaften.
Das Eingesicht und er waren neben dem Klapptisch angelangt. Sie blieben stehen, und beiden zitterten die Beine. Carl biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Er sah in die Augen der Vilmer, und er sah, wie blass und papierdünn die Haut ihrer Gesichter war. Er spürte finster drohende Wut, und er spürte einen Rhythmus zwischen diesen beiden. Oder war es ein Viertakt? Hatten sich die Bindungen getrennt und schwankten unter dem Eindruck eines solchen Schocks hin und her? Ein Teufelskreis mit vier Eckpunkten? Hin- und herwechselnde Identitäten? Die Quadratur des Kreises? Carl hatte allerlei Theorien darüber, was zwischen Mensch und Eingesicht geschah; in Wirklichkeit hatte er nicht die geringste Ahnung, wie viel davon stimmen mochte. Und er hatte keine Zeit, das herauszufinden. Er musste etwas tun, unterbrechen, was da ablief, was immer es war. Er zerrte das Eingesicht die letzten Schritte am nassen Fell mit, baute sich vor einem der erstarrten Jungen auf, packte seinen Kopf mit beiden Händen, schrie irgendetwas und versuchte, den Blick des Kindes zu fassen, einen Kontakt herzustellen. Vielleicht war es Toron, Carl war nicht sicher. Die Pupillen des Jungen waren erweitert, dunkel und leer. Allerdings war da etwas wie ein Erkennen; ehe Carl darauf reagieren konnte, war plötzlich der Teufel los.
Ein infernalisches Kreischen erscholl. Ein tierisches Jammern aus den tiefsten Kammern der Hölle. Carl ließ los und fuhr herum. Was er sah, verfolgte ihn lange in seinen schlechteren Träumen. Die Vilmer sanken um und fielen auf den feuchten Boden. Ohnmächtig, dachte der kühle Beobachter in Carl, der jetzt, da der furchtbare emotionale Druck gewichen war, wieder arbeitete. Warum hilft denn niemand?, dachte Carl der große Bruder, der es nicht ausstehen konnte, wenn jemand leiden musste. Er meinte das arme Eingesicht, das sich in einer Art Tobsuchtsanfall auf dem Boden wand, heulte und kreischte und seine eigenen Zähne in den Leib schlug und ihn aufriss, dass eine Menge milchiger Flüssigkeit hervorquoll. Carl nahm nur am Rande zur Kenntnis, dass seine Knie unter ihm nachgaben. Er starrte entsetzt das Tier an, das mit raschen Bewegungen seine Selbstverstümmelung fortsetzte und vollendete. Eingeweide brachen aus dem Körper hervor, und die verschmierte Schnauze verbiss sich in ihnen, ehe das Tier zuckte, mit den Beinen ausschlug und den zerquälten Leib in einer letzten Anstrengung dehnte. Carl sah, wie die selten benutzten, zartgliedrigen Mittelpfoten des Eingesichts sich verschränkten und mit einer solchen Kraft zudrückten, dass Knochensplitter durch die Haut des Tieres spießten. Dann verdunkelte sich seine Sicht, und er erinnerte sich erst später daran, dass er die Vilmer, seinen kleinen Bruder voran, eilig herankommen sah. Der Bann war gebrochen, aber zu welchem Preis, und wie?
Am Abend desselben Tages saß Carl, schwach und blass und mit einem üblen Gefühl im Magen, zusammen mit seinem kleinen Bruder im Zelt. Er schaute die meiste Zeit in das tröstliche Licht seiner Schreibtischlampe. Deren Spektrum war dem der irdischen Sonne angeglichen, wenn man den Versprechungen des Herstellers glauben konnte. Carl fühlte sich elend. Er kam sich vor wie ein Mörder.
»Du hast dir überhaupt nichts vorzuwerfen«, sagte Will. »Das Experiment war zu wenig durchdacht. Letzten Endes hast du zwei Leben gerettet. Mehr oder weniger.«
Carl wandte den Blick nicht von der Lampe ab. »Mehr oder weniger?«, fragte er. »Was, zum Teufel, soll denn das bedeuten? Das Eingesicht hat sich selbst umgebracht, oder?«
Will seufzte. »Ich hatte gehofft, dir das nicht heute auseinandersetzen zu müssen«, sagte er.
»Bring es mir bei, Brüderchen, mach es einfach.«
Will schaute in die Lampe, ob da nicht doch irgendetwas zu sehen war. Da war nichts. »Die beiden, die das Experiment unternommen haben«, begann er, »Lukas und Toron, sie haben mit ...«
»Ich weiß«, unterbrach Carl, »sie haben irgendwas durcheinandergebracht, was mit dem heißen Draht zwischen eurem nackten und dem behaarten Teil zu tun hat.«
»So habe ich das noch nicht gesehen.«
»Wirklich.«
»Sie haben getauscht«, sagte Will. Sein vilmscher Teil
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